Pietät im freien Fall

BERLIN taz ■ Bild gelesen, dabei gewesen: Spätestens seit Sonntag weiß jeder, wie die Concorde-Opfer aussahen, die Sonntagsschwester BamS brachte eine Fotostrecke der Verstorbenen. Seitdem häufen sich die Beschwerden beim Presserat. Und Ex-Innenminister Gerhart Baum fordert ein „Familienschutzgesetz“ wie in den USA, das nach einer Katastrophe die Privatsphäre der Angehörigen wahrt.

Davon hält Bild natürlich wenig – und hat sich überhaupt nichts vorzuwerfen. Schließlich habe man die Opfer „mit Fingerspitzengefühl“ präsentiert: „Da war nichts geschmacklos“, sagt Springer-Sprecherin Edda Fels, und überhaupt sei so ein rein deutscher Concorde-Absturz eine „nationale Katastrophe“. Damit ist für sie klar ein öffentliches Interesse gegeben.

Hans-Peter Buschheuer, Chefredakteur beim kölschen Boulevardblat Express, verteidigt sich dagegen unaufgefordert: Die Opfer hätten doch einen „Status von Lokalprominenz“, schließlich kamen viele aus Nordrhein-Westfalen. Wann nun jemand „prominent“ ist und lokal und wann nicht, weiß er allerdings auch nicht so genau: „Ich geb’s ja zu!“ Daher fände Buschheuer „etwas größere Rechtssicherheit“ doch begrüßenswert. Allerdings eher als Selbstzweck denn aus Sorge um die Hinterbliebenen. Denn wenn die Regeln klarer abgesteckt wären, könne der Express auch nicht mehr so leicht „an den Pranger“ gestellt werden.

Für Benno Pöppelmann, Justitiar beim Deutschen Journalisten-Verband, liegt hingegen ein klarer Verstoß gegen den Pressekodex vor. Ein Strafgesetz wie in den USA hält er aber nicht für sinnvoll. „Ob die sich daran halten, ist doch auch nicht sicher.“ Generell trage das System der freiwilligen Kontrolle über den Presserat: „Man muss nur immer wieder appellieren, ihn auch ernst zu nehmen.“

Nachrichtenredakteurin Christine DeSilva von der Passauer Neuen Presse kommt da schneller zum Punkt: „Wir waren empört“, sagt sie. Der Presserat sei ja eine „schöne Einrichtung“, aber die Boulevardpresse setze sich doch konsequent darüber hinweg. Eine Lösung hat sie jedoch auch nicht parat. Über Geldstrafen lachen „die“ doch nur, meint sie. BJÖRN KERN