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Mit der Axt durch die Historie

Roland Emmerich beschwört mit „Der Patriot“ einmal mehr das totale US-Nationalbewusstsein

von KERSTIN STOLT

„Der Patriot“ hätte gut eine weitere Folge der „Lethal Weapon“-Serie werden können. Doch Danny Glover, deren zweiter Hauptdarsteller, hätte bestimmt nicht gerne in einem Film von Roland Emmerich mitgewirkt. So muss Mel Gibson diesmal ganz alleine durch, ohne seinen bewährten Partner. Notgedrungen vielleicht spielt die Handlung von „Der Patriot“ nun in einer Zeit, in der Schwarze ohnehin nicht für tragende Rollen in Blockbusterfilmen in Frage kamen, sondern allenfalls für die Baumwollernte – in der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges.

Von ein paar historischen Kostümen abgesehen ist Mel Gibson aber ganz der Alte geblieben. Man sollte sich denn auch nicht davon täuschen lassen, dass er als Benjamin Martin zunächst noch moralische Einwände gegen den Krieg zum Besten gibt. Der Mann ist eine wandelnde Zeitbombe, weil er – wie alle bekannten Gibson-Figuren – schon früh seine geliebte Frau verloren hat. Nur Hunden kann er nicht böse sein, wobei diesmal zwei Doggen des britischen Generals Cornwallis zu ihm überlaufen – ein untrügliches Zeichen seiner Menschlichkeit und Zitat aus „Lethal Weapon 3“. Das historische Setting erlaubt außerdem Anleihen bei „Braveheart“, wo Gibson schon erste Erfahrungen mit Haarbändern und den heimtückischen Engländern gesammelt hat.

Sein antikolonialer Affekt ist in „Der Patriot“ jedoch beträchtlich gewachsen. Stets bewegt sich Gibson knapp am Rand seiner Selbstbeherrschung, und wie er im Blutrausch mit der Axt auf einen toten Briten einhackt, das hat man bisher noch nicht gesehen. Dass diese Szene schon den Höhepunkt des Films darstellt, liegt nicht nur daran, dass Gibson bis dahin als friedliebender Bauer vorgestellt wurde – eine Rolle, die ihm seit „Braveheart“ eigentlich keiner mehr abnehmen dürfte. Seine in schnellen Schnitten gezeigte Entmenschlichung durch den Krieg wirft Fragen auf, die es in den folgenden zwei Stunden dann wieder zu verdrängen gilt. Keine Überraschung ist es, dass „Independence Day“-Emmerich den emotionalen Effekt über die widersprüchlichen historischen Fakten stellt: Die Dämonisierung der Briten, feuchte Kinderaugen, Heirat vor Sonnenuntergängen, überhaupt das ständige Gegenlicht, das sich wie Gloriolen um das Haar der Freiheitskämpfer legt, eine penetrante Musik-Untermalung und patriotische Merksätze machen den Film für jeden Zuschauer zu einer Belastungsprobe.

Immerhin gibt es aber auch ein paar Subtexte, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Gibson etwa sieht mit seinen langen Haaren und der blutigen Axt in der Hand auffallend indianisch aus. Das mag eine Anspielung darauf sein, dass sich die Kolonisten bei ihren ersten antibritischen Aktionen als Indianer verkleideten. Zugleich zeigt es aber, wie Emmerich Geschichte archetypisiert. Denn so sehr die amerikanischen Ureinwohner noch durch den Bilderfundus geistern, als historische Figuren sind sie aus diesem Film schon getilgt. Da muss man erstens nicht lang und breit erklären, warum sie damals auf Seiten der britischen Armee gekämpft haben. Zweitens kann Emmerich „das Indianische“ einfach dem amerikanischen Charakter zuschlagen, dessen Brutalität so Ausdruck einer unverfälschten Naturhaftigkeit, also einer natürlichen Freiheitsliebe wird, und das im Kontrast zur gestelzten Art der Engländer. Deren schwerfällige Kriegsführung wird zum Symptom einer erstarrten Gesellschaftsform, während sich die amerikanische Miliz ganz selbstbestimmt durch die Büsche schlägt.

Nun geht es bei solchen Vereinfachungen nicht darum, den Unabhängigkeitskrieg ideologisch noch einmal zu rechtfertigen. Historischer Revisionismus zielt letztlich immer auf Fragen der Gegenwart, in diesem Fall ganz plump auf die Frage nach der Möglichkeit eines gerechten Krieges. In diesem Kontext werden auch die dunklen Anspielungen auf ein Massaker verständlich, dessen sich unser Held in einem früheren Krieg schuldig gemacht hat. Aber siehe da, es gibt ein Leben nach My Lai, Vietnam. Das haben die Amerikaner eigentlich schon längst begriffen, doch dem Deutschen Roland Emmerich ist es noch immer ein Anliegen, das totale Nationalbewusstsein zu beschwören. Umso besser, wenn die Nazis dabei die Anderen sind, sprich: Die Engländer gehen hier mit Methoden gegen die Zivilbevölkerung vor, die wohl erst die SS im Zweiten Weltkrieg angewandt hat.

In seinem Reinwaschungswahn schummelt sich Emmerich am Ende sogar um die Tatsache herum, dass seine Wahlverwandten weit über den Unabhängigkeitskrieg hinaus Sklavenhalter waren. Das Schicksal eines Vorzeige-Schwarzen namens Occam ist jedenfalls nicht besonders repräsentativ. Zwar hat es vereinzelt Pläne gegeben, die auf Seiten der Amerikaner kämpfenden Sklaven mit ihrer Freiheit zu belohnen. Aber in South Carolina, wo der Film sein ganzes Blut-und-Boden-Pathos vergießt, wurden Afro-Amerikaner noch nicht einmal in die kontinentale Armee aufgenommen – ganz zu schweigen davon, dass man ihnen erst im nächsten Krieg, 87 Jahre später, die Freiheit gewährte. „Der Patriot“ tut dagegen so, als hätte George Washington und nicht Abraham Lincoln die Emancipation Proclamation verkündet, und die wenigen Sklaven, die man sieht, sind bei Massa Mel ebenso glücklich wie in ihrem Feriencamp am Meer. Allerdings: „Gleichheit . . . gut“ – das findet schließlich auch Occam, dessen Nachkommen dank des unermüdlichen Einsatzes von Gibson und Emmerich sicher später einmal etwas mehr Text haben dürfen. Dann spielt hoffentlich auch Danny Glover wieder mit.

„Der Patriot“. Regie: Roland Emmerich. Mit Mel Gibson, Heath Ledger u. a. USA 2000, 159 Min.

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