Auf zur nächsten Runde

Die rot-grüne Steuerreform setzt die ungerechte Politik der Kohl-Regierung fort. Eine unter Ökonomen intensiv debattierte Alternative ist die „progressive Konsumsteuer“

Die Zufriedenheit nimmt rasch ab, wenn ich mit meinem Luxusauto täglich im Stau stehen muss

Die Steuerreform ist abgesegnet – und dabei wurde eine große Chance vertan. In einem zentralen Gestaltungsbereich hat die rot-grüne Koalition bruchlos die konservative Politik der Kohl-Regierung weitergeführt. Die Steuerreform wird sich als ein unnötig teures Geschenk an die Besserverdienenden entpuppen, die relativ stärker profitieren. Zugleich belasten die Mindereinnahmen den Staatshaushalt erheblich – mit allen negativen Konsequenzen für öffentliche Investitionen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wenn solche kuriosen Reformen einer Mitte-Links-Regierung selbst in den eigenen Reihen auf wenig Widerstand stoßen, dann hat das viel mit der scheinbaren Alternativlosigkeit zu tun.

Die angestrebten Ziele sind ja durchaus verständlich. Es ist nicht von vornherein falsch, auf Steuerentlastung zu setzen – zugunsten von Investitionen. Es ist nicht zu verurteilen, den Freiheitsraum für individuelle Entscheidungen zu erweitern. Und es muss auch nicht dumm sein, die private Altersvorsorge stärker steuerlich zu begünstigen.

Es ist aber kleinmütig, diese Fragen nicht radikal und grundsätzlich zu diskutieren. Sollte es wirklich keine Lösungen geben, die die genannten Ziele vereinen und dabei trotzdem eine höhere Verteilungsgerechtigkeit mit sich bringen? Aber ja doch. Eine besonders viel versprechende Variante wird in der Ökonomie seit längerem intensiv diskutiert. Zumeist heißt sie „sparbereinigte Einkommensteuer“, manche nennen sie auch „progressive Konsumsteuer“.

Basisgedanke dabei ist, dass nicht nur der Grundfreibetrag steuerfrei sein soll – sondern auch der Anteil der privaten Einkommen, der gespart wird. Dieser muss erst versteuert werden, wenn das Gesparte aufgelöst wird und in den Konsum zurückfließt. Sofort stellt sich allerdings eine kritische Frage: Werden da die Besserverdienenden nicht noch stärker bevorzugt? Schließlich ist es ja vor allem für die Wohlhabenden kein Problem, mehr zu sparen und weniger zu verbrauchen.

Die Gefahr besteht, aber nur bei einer ganz isolierten Einführung. Man muss daher eine sparbereinigte Einkommensteuer mit zwei flankierenden Maßnahmen kombinieren: Zum einen ist eine Kontrolle der deklarierten Sparanlagen notwendig, um Steuer-Schlupflöcher zu verhindern. Zum anderen sind die Steuersätze im oberen Einkommensbereich anzuheben. Dann wären langfristig mehr Steuereinnahmen von den Wohlhabenderen zu erwarten.

Im Einzelnen hätte der Übergang zu einem solchen System aus folgenden Elementen zu bestehen: (1) Vom Bruttoeinkommen dürfen alle nachgewiesenen Sparbeträge abgezogen werden. Dazu gehören sowohl die Beiträge zur Sozialversicherung wie kontrollierbare Wertanlagen – also Immobilien, Wertpapiere oder Sparkonten. (2) Diese steuerbefreiten Sparbeträge werden in ein elektronisches Register eingetragen, das dem Finanzamt zugänglich ist. (3) Alle Nettoeinnahmen aus den Sparanlagen sind der normalen Einkommensteuer unterworfen – einschließlich der Erlöse, die bei der Auflösung der Rücklagen entstehen. Diese Regel gilt dann auch für die Altersrente und das Arbeitslosengeld, die vorher entsprechend nominal erhöht werden müssen. (4) Beim Tod des Sparenden wird dessen Guthaben nicht wie eine Erbschaft behandelt, sondern wie eine fiktive Vollausschüttung, auf die die volle Einkommenssteuer erhoben wird. (5) Sind bei der fiktiven Vollausschüttung Anteile an Immobilien oder Firmen enthalten, tritt der Staat in die Rolle eines stillen Teilhabers ein, der sukzessive von den Erben ausgezahlt werden kann. (6) Zugleich werden die oberen Steuersätze gravierend angehoben, so dass sich zum Beispiel ein Spitzensatz von 60 Prozent oder auch mehr ergibt.

Eine ganze Reihe interessanter Wirkungen wären zu erwarten. Anders als jetzt würde der Gegenwartskonsum ganz bewusst steuerlich diskriminiert. Als Reaktion dürfte erheblich mehr gespart werden, was sich wiederum positiv auf die heimische Investitionstätigkeit auswirkt. Das gilt besonders, wenn sich die Abzugsfähigkeit von Gespartem zunächst auf Anlagen in Deutschland beschränkt (weil Vermögen im Ausland zu schwer zu kontrollieren wäre).

Eine progressive Konsumsteuer bedeutet, dass viele in den oberen Einkommenssegmenten weniger auffällig konsumieren werden und stattdessen mehr investieren, weil dies steuerlich stark begünstigt würde. Das erhöht ihre Ressourcen im Alter. Es mindert aber auch den offensiv demonstrierten Lebensstandard während der aktiven Jahre – es ist also weniger Luxuskonsum zu erwarten. Dies dient nicht nur dem sozialen Frieden – es würde sogar die Lebensqualität der Wohlhabenden kaum tangieren, obwohl sie durch dieses System der progressiven Konsumsteuer stärker zur Kasse gebeten würden. Sozialwissenschaftler haben gezeigt, dass unser Wohlbefinden sehr viel geringer von der absoluten Höhe des Einkommens abhängt als vom Vergleich mit unseren Zeitgenossen.

Und die Steuereinnahmen? Sie würden langfristig steigen. Zum einen, weil die Sätze auf jenen Teil zunehmen, der doch in den Verbrauch wandert. Zum anderen, weil im Todesfall das Gesparte relativ hoch besteuert wird. Dass hier noch Gestaltungsspielraum existiert, zeigt sich daran, dass die Bundesrepublik im internationalen Vergleich bei den Steuern auf Einkommen und Vermögen eine recht niedrige Position einnimmt. Aus den staatlichen Mehreinnahmen lassen sich dann wiederum öffentliche Güter finanzieren, deren Nutzung die Zufriedenheit der Bürger sogar eher stärken können als ein höheres Nettoeinkommen.

Bei Steuern auf Einkommen und Vermögen nimmt Deutschland international eine relativ niedrige Position ein

Der viel zitierte amerikanische Ökonom Robert H. Frank drückte es einmal so aus: Wenn ich mir einen noch größeren Wagen leisten kann, und so mit meinen Nachbarn wieder gleichziehe oder sie sogar übertrumpfe, dann werde ich eine Zeitlang sehr glücklich sein. Aber diese Zufriedenheit nimmt rasch ab. Denn wenn ich täglich im Stau stehen muss, dann bleibt dies eine konstante Quelle des Unmuts. Wird stattdessen eine Stadtbahn gebaut, die mir Zeit erspart, dann steigere ich meine Lebensqualität nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft.

So viel Vorteile und keine Nachteile bei der progressiven Konsumsteuer? Oh doch. Für einige Jahrzehnte fallen die Einnahmen aus der Einkommensteuer vermutlich erheblich niedriger als jetzt aus, um danach jedoch um so stärker anzusteigen. Für diesen Übergang gibt es zwei Möglichkeiten der Abfederung. Entweder führt man die progressive Konsumsteuer sehr gleitend ein: In jedem Jahr steigen sowohl der Freibetrag zum Sparen wie auch die oberen Steuersätze um einen festen Satz an. Oder man nutzt das Glättungsmittel der Staatsverschuldung, das genau für solche Situationen der Verzögerung zwischen Aufwand und Ertrag erfunden wurde. Aber zu beidem gehört ein Mut zur steuerpolitischen Grundsätzlichkeit, den man bei dieser Regierung bisher leider nicht erkennen kann.

GERD GRÖZINGER