Heilige der Diktatur

Spaniens Bischöfe möchten im Heiligen Jahr zweitausend Märtyrer des 20. Jahrhunderts vom Papst selig sprechen lassen, zumeist Opfer der republikanischen Truppen im Bürgerkrieg

von REINER WANDLER

Das Heilige Jahr ist auch das Jahr von Monseñor Vicente Cárcel Orti. Der aus dem spanischen Valencia stammende Kabinettschef am Obersten Päpstlichen Gerichtshof in Rom sammelt seit Jahren Biografien von Menschen, die wegen „der Verteidigung ihres Glaubens den Tod fanden“. Dabei hat sich der Geschichtswissenschaftler auf die im Laufe des Spanischen Bürgerkriegs (1936 bis 1939) umgekommenen Mitglieder des Klerus spezialisiert. In seinem Buch „Spanische Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ stellt Cárcel Orti über zweihundert „Opfer religiöser Verfolgung“ vor, die von Papst Johannes Paul II. bisher selig gesprochen wurden.

Bald gibt es Anlass für neue Bände. Über hundert weitere Akten aus Spanien liegen im Vatikan bei der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. „Die umfassen über zweitausend Märtyrer“, weiß Cárcel, der nicht ruht, in Rom für die ermordeten spanischen Katholiken zu werben. „Viele von ihnen werden noch dieses Jahr vom Papst selig gesprochen“, ist sich der Geistliche sicher.

Dass seine Märtyrer alle der siegreichen franquistischen Seite im Spanischen Bürgerkrieg angehörten, stört Cárcel nicht. „Ich sehe keinen Anlass zur Polemik“, sagt er. Zwar muss auch er zugeben, dass in einem durch und durch katholischen Land auch auf der Seite derer, die die Republik verteidigten, gute Gläubige ihr Leben ließen. Doch „das sind keine Märtyrer, sondern Gefallene oder einfache Opfer der Repression, so zum Beispiel die vierzehn standrechtlich erschossenen Priester in Bilbao“. Sie hätten den antifranquistischen Milizen der Baskisch-Nationalistischen Partei angehört.

Der ansonsten so gewissenhafte Historiker irrt, wenn es um die gegnerische Seite geht. Nicht im Herbst 1937 bei der Einnahme Bilbaos, sondern knapp ein Jahr zuvor in der anderen Baskenmetropole San Sebastián fielen die Geistlichen den Kugeln der aufständischen Militärs zum Opfer. In Bilbao traf dieses Schicksal nur noch einen Pater. Der Vatikan und der Bischof von Salamanca, ein enger Vertrauter Francos, hatten die Aufständischen zur Besinnung gerufen.

„Für die Amtskirche sind wir weiterhin Mörder“, sagt Serafìn Esnaola wütend. Der heute 84-jährige baskische Priester aus San Sebastián gehört zu den Geistlichen, die aus tiefer religiöser Überzeugung den Aufstand der Militärs gegen die demokratische Ordnung ablehnten. „Dabei waren die Republikaner und wir eigentlich natürliche Feinde“, sagt der Alte, der selbstverständlich die antiklerikalen Ausschreitungen verurteilt. Aber von einem ist er überzeugt: „Die Franquisten hassten uns baskische Priester mehr als die Kommunisten.“ Die meisten der hingerichteten Geistlichen seien wegen ihres Einsatzes für die baskische Sprache und Kultur ermordet worden.

Nach der Einnahme des Baskenlandes wurden viele Priester in andere Regionen verschickt. „Ich bin seit 54 Jahren Priester, doch eine Pfarrgemeinde wurde mir nie zugeteilt“, erzählt Esnaola, der davon überzeugt ist, dass „in der spanischen Kirche noch immer die gleichen Kräfte die Macht haben“ wie vor dem Übergang zur Demokratie.

„Die Kirche wandte sich nach dem Krieg der Seite zu, die sie vor der Verfolgung rettete“, sagt Cárcel Orti und versucht damit zu vertuschen, dass ein Großteil der spanischen Bischöfe von Anfang an den Aufstand der Militärs gegen die Republik unterstützte. Als „Heiliger Krieg“ wurde der Waffengang gegen die rechtmäßige Ordnung in Hirtenbriefen verkauft.

In den späteren vierzig Jahren Diktatur zeigte sich Diktator Franco erkenntlich. Er machte aus Spanien während des vierzigjährigen Regimes einen religiösen Staat, „die letzte geistige Reserve des Okzidents“. Die Kirche erhielt eine Macht, die sie nach dem Ende der Diktatur mit dem Verlust vieler Kirchgänger bezahlen musste.

Selbst heute, 25 Jahre später, beobachtet die spanische Gesellschaft die Kirche mit Argwohn. „Die Seligsprechungen verärgern viele Katholiken“, sagt Enrique Miret Magdalena. Der 85-jährige weltliche Kirchenmitarbeiter gehört zu den wenigen Fortschrittlichen in der spanischen Amtskirche.

Er verbrachte die zwei Jahre und neun Tage des Kriegs im Keller der paraguayischen Botschaft in Madrid. Als Seminaristenanwärter bei den Jesuiten hatte er ausgerechnet vor der republikanischen Seite Angst, der er bis heute politisch verbunden geblieben ist. Miret, der nach dem Krieg beschloss, als Nichttheologe Gott zu dienen, hält wie auch andere in der Amtskirche die Zahlen von Monseñor Vicente Cárcel „für restlos übertrieben“. Er gibt die Zahl der religiösen Opfer unter den insgesamt 130.000 Toten im Bürgerkrieg mit 6.832 an.

Als Quelle dient ihm die Doktorarbeit des heutigen Bischofs im südspanischen Badajoz, Monseñor Antonio Montero Moreno. In den Fünfzigerjahren trug dieser aus den meisten spanischen Klöstern und Pfarrgemeinden Berichte über die Kriegsjahre zusammen. 4.184 Angehörige des säkularen Klerus, 12 Bischöfe, 1 päpstlicher Gesandter, 2.365 Mönche, 238 Nonnen und mehrere Seminaristen haben demnach ihr Leben gelassen. „Dabei hab ich auch die Opfer auf der republikanischen Seite aufgeführt“, sagt Montero. „Das hat mir in der damaligen Zeit nicht nur Freunde eingebracht“, fügt er hinzu. Ob die Aufgezählten alle Märtyrer sind, darüber möchte der Bischof keine Aussage treffen. „Ich habe kein Buch über Märtyrer geschrieben, sondern eine saubere wissenschaftliche Untersuchung über die Opfer“, sagt er.

Auch Miret Magdalena spricht Montero Moreno „wissenschaftliche Ernsthaftigkeit“ nicht ab. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren. Als Miret Magdalena in den letzten Jahren der Diktatur die Acción Católica leitete, firmierte Montero Moreno als Herausgeber der Zeitschrift Iglesia, des Organs dieser größten säkularen politischen Organisation. „Ein Rechter, der allerdings kritische Zwischentöne im Blatt deckte“, zollt Miret dem Bischof Respekt.

In einem werden sich die beiden wohl nie verständigen: in der Frage der Motivation derer, die Massaker am Klerus verübten. „Antireligiöse Gefühle, die selbst wieder von einer Art religiöser Verehrung des Anarchismus oder Kommunismus herrührten“, sieht Monseñor Montero, Miret hingegen „tief verwurzelten Antiklerikalismus“.

Der säkulare Geistliche, der in den ganzen Jahren der Diktatur nie die Hoffnung auf die Reformierbarkeit der Kirche verlor, wirft den spanischen Priestern und Bischöfen „historisches Fehlen von sozialem Gespür“ vor und zitiert zu diesem Zweck Francisco de Osuna, einen katholischen Kritiker aus dem 16. Jahrhundert. „Ihr benutzt das Kreuz für eure Vergnügen“, schrieb der Mönch über den spanischen Klerus.

„Auch wenn ich selbstverständlich jeden einzelnen Mord an einem Geistlichen verurteile, liegen hier die Gründe für Massaker und Zerstörungen“, sagt Miret und verweist darauf, dass dieser Hass, wenn auch in geringerem Maße, schon in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg immer wieder aufflammte. „Es vermischten sich vielschichtige soziale, politische, militärische und auch religiöse Phänomene. Dank politischer Motive, aber auch durch lange aufgestaute Rache- und Hassgefühle gab es auf beiden Seiten Tote“, musste selbst einer der orthodoxesten Bischöfe, Jesús Pla, 1985 einräumen.

Die römische Kurie weiß sehr wohl, welchen Zündstoff das Thema Seligsprechung spanischer Geistlicher aus der Zeit des Kriegs in sich birgt. Um die noch immer nicht verheilten Wunden nicht wieder aufzureißen und damit die 1975 nach dem Tode Francos einsetzende Demokratisierung zu gefährden, stoppte Papst Paul VI. die Bearbeitung der Anträge aus Spanien, die nach dem Bürgerkrieg eingingen und schon unter Papst Pius XII. nur zögerlich bearbeitet worden waren. Papst Paul VI. wollte auf keinen Fall Massenseligsprechungen ohne Einzelfallstudie. Erst Johannes Paul II. ließ in den letzten Jahren die Verfahren wieder aufnehmen.

Die zur Zeit der Wiederaufnahme der Seligsprechungen in Spanien und in vielen Regionen regierenden Sozialisten machten gute Miene zum bösen Spiel. „Mir würde es gefallen, wenn diese Seligsprechungen und die Veranstaltungen drum herum zu einem Akt der Versöhnung würden“, erklärte der sozialistische Ministerpräsident von Castilla-La Mancha, José Bono, auf einer Gedenkfeier im Vatikan anlässlich der Seligsprechung von 45 Füsilierten aus seiner Region.

Doch die Spanische Bischofskonferenz will auch im Heiligen Jahr nicht um Verzeihung für ihre Rolle in Krieg und Diktatur bitten. „Es ist weder gerecht noch oppurtun“, anzuerkennen, dass die Kirche Franco treu zur Seite stand, bekräftigten Spaniens Bischöfe in der Woche vor Ostern ihre alten Positionen. Und: „Die Kirche gehört zu den Leidtragenden und Opfern.“

REINER WANDLER, 37, seit 1995 taz-Korrespondent in Spanien, gab das Buch „Euskadi. Ein Lesebuch zu Politik, Geschichte und Kultur des Baskenlands“ (edition tranvía, Berlin 1999, 207 Seiten, 32 Mark) heraus