Chile: Gefangene ins Meer geworfen

Pfarrer berichtet unter Berufung auf Luftwaffenoffizier über Verbleib von 780 verschwundenen Oppositionellen

BUENOS AIRES taz ■ Nach Angaben eines Pfarrers wurden in den ersten Jahren der Pinochet-Diktatur in Chile hunderte politische Gefangene ins Meer geworfen. Dies gelte für etwa 60 Prozent der Verschwundenen. Die Leichen werden nie geborgen werden können, weil die Gefangenen zuvor mit Gewichten beschwert wurden. Dies teilte der Methodisten-Pfarrer Enrique Vilches der chilenischen Regierung in einem Bericht mit, der am Donnerstag in Santiago öffentlich wurde.

Darin behauptet Vilches, das Schicksal von 780 verschwundenen Regimegegnern aufklären zu können. Mehr als die Hälfte von ihnen sei unter Drogen gesetzt und mit einem Stück Metall um den Hals vom Flugzeug in den Pazifik geworfen worden, „damit sie von den Fischen gefressen werden“. Der landesweit bekannte Pfarrer Vilches, der in dem Andenstaat ein Radioprogramm betreibt, beruft sich in seinem Bericht auf die Aussagen eines ungenannten pensionierten Luftwaffenobersts.

Dessen Äußerungen sind offenbar das erste konkrete Ergebnis eines im Juni verabschiedeten Gesetzes. Das erlaubt den Militärs, Angaben über den Verbleib verschwundener Gefangener auch anonym zu machen, und sichert ihnen dabei Straffreiheit zu.

Die Regierung von Präsident Ricardo Lagos reagierte empört auf die Veröffentlichung des Berichts und rief dazu auf, die Arbeit derjenigen Organisationen nicht zu gefährden, die verantwortungsvoll nach Informationen über den Verbleib der Verschwundenen suchen. Die Kirchen in Chile sammeln Daten von Militärs, die Angaben über Verschwundene machen.

Den eigentlichen Inhalt des Berichts kommentierte die Regierung zurückhaltend. Lagos sagte, die von Vilches verbreiteten Unterlagen enthielten keine Beweise, „die eine Schlussfolgerung über das tatsächliche Schicksal der Opfer zulassen“. Laut Lagos sei in den Papieren auch kein Opfer beim Namen genannt, über das Vilches angeblich Informationen habe. Dessen Informationen seien zudem sehr allgemein gehalten und lägen weit unter dem, was man erwarten könnte.

Am Donnerstag ist die Zahl der Klagen gegen den 84-jährigen General Augusto Pinochet um drei weitere auf 157 gestiegen. In Begleitung ihrer Anwälte reichten Angehörige die Klagen wegen des Verschwindens von drei sozialistischen Aktivisten ein. Die Entscheidung im Verfahren über die Aufhebung der Immunität des Ex-Diktators und heutigen Senators auf Lebenszeit soll am Dienstag veröffentlicht werden. In einem Fernsehinterview sagte jedoch ein Sohn Pinochets, das Gericht hätte die Aufhebung der Immunität seines Vater beschlossen.

In der Zeit der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 wurden mehr als 3.000 Menschen ermordet. Die Leichen von mehr als 1.000 Opfern sind bis heute verschwunden. INGO MALCHER