Soundcheck

Gehört: Wacken Open Air. Eine unumstößliche Wahrheit wurde in Wacken (bei Itzehoe) ad absurdum geführt: Dass „niemand mehr Heavy Metal hört“, widerlegten einmal mehr 20.000 Menschen. Inhaltlich trifft der Anachronismus-Verdacht eher zu.

Die Veranstalter verzichteten weitgehend auf Innovation und engagierten Bands, deren letzte Veröffentlichung Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegt, wie beispielsweise Rose Tattoo. Das Publikum bewies, dass das nicht spaßverhindernd wirken muss. Twisted Sister, die sich aus rechtlichen Gründen nach ihrem Sänger Dee Snider nennen müssen, wurden euphorisch gefeiert. Snider animierte das Publikum trotz 327-facher Anrede mit „sick motherfuckers“ zu rührenden Bekenntnissen („It's only Rock'n'Roll, but I like it“). Als kurz darauf die seit 1980 ritualisierte Sentenz „From the very dephts of hell, please welcome Venom“ selbige auf die Bühne zitierte, wurde doch klar, dass sich in 20 Jahren etwas geändert hat. Sänger Cronos zeigt, dass man auch in der Hölle nicht von irdischen Heimsuchungen wie Haarausfall verschont bleibt, und der restriktive Einsatz von Pyro-Effekten zwang dazu, die Rezeption von den Augen auf die Ohren zu verlagern. Das hätte man den Drei-Akkord-Minimalisten durchaus übel nehmen können.

Die Stärke des Festivals – auch ambitionierter Nachwuchs kommt zum Zuge – führte zur bitteren Erkenntnis, dass dieser derzeit auf ausgetretenen Pfaden wandelt: Die hochgelobten Finnen Nightwish triefen vor Pathos, Raise Hell gemahnen an Shakespeare: Viel Lärm um nichts.

Doch vielleicht ist Musik nicht mal das Wichtigste in Wacken: Nirgendwo sonst findet sich ein Festival in einem derart beschaulichen Rahmen. Wackener Bürger erhalten freien Eintritt, das „Heavy Metal Break-fast“ bestreiten Seniorinnen mit selbstbelegten Eibrötchen. Am Gartenzaun wird freundlich gegrüßt, und die Kuhherde am Rande der Dorfstraße scheint nicht zu stören, dass alljährlich eine schwarzgekleidete Karawane auf der Suche nach Dosenbier durch die Gemeinde streift. Vor solcher Kulisse Innovation einzufordern, wäre wohl geradezu taktlos. Christoph Ruf