Marsch ohne Gleichschritt

Nach OVG-Urteil: 250 Neonazis ziehen „unter Auflagen“ durch Tostedt. Kreis fürchtet, dass Verbote in Zukunft schwieriger werden  ■ Von Andreas Speit

„Wir mischen uns da nicht ein“, sagt der ältere Mann. Zusammen mit seiner Frau steht er am Straßenrand, vor ihm marschieren die Neonazis. Seine Frau ergänzt: „Uns gehen die Rechten nichts an“. Ein paar Meter weiter hält eine ältere Frau ein Plakat hoch: „Nie wieder Faschismus“. Szenen aus Tostedt: Am Sonnabend Nachmittag marschierten rund 250 Neonazis durch die Kleinstadt in der Nordheide.

Als sich gegen 15.00 Uhr die Neonazis aus dem bundesweiten Netzwerk der „Freien Nationalis-ten“ am Tostedter Bahnhof sammeln, kommen im Stadtkern über 150 Menschen spontan zusammen, um gegen den rechten Aufmarsch zu protestieren. Die Polizei toleriert das, „weil wegen der späten Entscheidung des Oberverwal-tungsgerichts eine rechtmäßige Anmeldung nicht mehr möglich war“. Das Oberverwaltungsgericht hatte am Freitag Abend in letzter Instanz ein Verbot der Kreisverwaltung Winsen/Luhe aufgehoben.

Mit fast zweistündiger Verspätung beginnt gegen 17.00 Uhr der Aufmarsch unter dem Motto „Rechter Rock statt rote Socken!“, angemeldet vom niedersächsischen Vorsitzenden der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), Danny Marquardt. Grund für die Verspätung sind die gerichtlichen Auflagen. Den Neonazis wurde untersagt, Springerstiefel oder Uniformteile zu tragen oder Trommeln mitzuführen. Durch Vorkontrollen und das Durchsuchen von Fahrzeugen versucht die Polizei die Einhaltung der Auflagen zu gewährleisten. Doch via Internet sind die „Kameraden“ bereits entsprechend angewiesen wurden, um den Marsch nicht zu gefähren. Dennoch werden in Tostedt unter anderem Schlagstöcke, ein Beil und ein Messer bei Rechten beschlagnahmt. Nazis, die ihre Springerstiefel nicht ausziehen wollen, erhalten Platzverweise.

Vor Ort erinnert Sascha Bothe, Chef des “Blood & Honour“ Nordmark noch einmal an die Auflagen. Damit „alles ordnungsgemäß verläuft“ verliest Marquardt den Gerichtsbeschluß, nach dem den Teilnehmern auch untersagt ist, im Gleichschritt zu marschieren oder „antijüdische und rassistische Sprechchöre“ zu rufen. Viele Teilnehmer kichern.

Eine Stunde dauert der Marsch durch die Tostedter Wohnstraßen, die fast menschenleer sind. Wegen der linken Gegendemonstration müssen die Nazis ihre Route kurzfristig ändern. Die Polizei räumt derweil eine von Linken besetzte Straßenkreuzung, „ohne Schlagstockeinsatz“, wie ein Sprecher betont.

Auf der Abschlusskundgebung kritisiert Christian Worch, Chef des Aktionsbüro Norddeutschland, die gerichtlichen Auflagen: „Die Richter mögen lieber linke Latschdemos.“ Axel Gedaschko von der Kreisverwaltung hingegen befürchtet, dass genau diese Genehmigung unter Auflagen Verbote rechter Demos in Zukunft erschweren könnte: „Die Rechtsextremis-ten wissen jetzt genau, wie weit sie gehen können“.