Lernen vom Kaffeeröster

So wird die Saison, die wird (Teil 6: Hamburger SV): Der Weg zum etablierten europäischen Großklub führt über solides Finanzmanagement und einen ehrgeizigen Trainer in ein fertig gestelltes Stadion

von OLIVER LÜCK

Schiffe, die den Hamburger Hafen verlassen, werden auf Höhe Blankenese stets mit aus Lautsprechern kreischender Blasmusik verabschiedet. Die Menschen an Bord winken den Daheimgebliebenen. Es schwingt eine gehörige Portion Fernweh mit. Denn dort, gleich am Wasser, siedelten sich vor mehr als hundert Jahren Schiffsausrüster, Reeder oder Kaffeeröster an, verschifften ihre Ware und verliehen der Stadt ihren Ruf als Tor zur Welt.

Eben jenes haben die Kicker des Hamburger SV mit Rang drei in der abgelaufenen Saison und dem Erreichen des Uefa-Cups nach langer Abwesenheit wieder aufgestoßen. Dass es nun allerdings noch ein wenig mehr sein darf, passt in das veränderte Bild des reformierten Klubs. 17 Jahre nach dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister und vor dem ersten Qualifikationsspiel zur Champions League, heute beim dänischen Vizemeister Bröndby Kopenhagen (19 Uhr; ZDF), stehen alle Vorzeichen auf Rückkehr ins europäische Oberhaus.

Der Baustaub ist bereits von den Scheiben geputzt. Stählerne Lastkräne im umgebauten Volksparkstadion gehören seit einigen Tagen der Vergangenheit an. „Es sind nur noch kleinere Arbeiten zu erledigen“, sagt HSV-Sportchef Holger Hieronymus. Das A und O sei die geglückte Fertigstellung der futuristisch anmutenden Dachkonstruktion gewesen.

„Unsere Anhänger werden sich bei uns ab sofort noch wohler und insbesondere trockener fühlen“, verspricht der 41-jährige Hieronymus. Die jüngsten Erfolge beim Absatz der Dauerkarten, rund 20.000, machen Mut. Besteht der HSV nun auch noch die Qualifikation zur Champions League, könnte die Zahl der Saisontickets auf bis zu 25.000 anschwellen, für das schnelllebige Hamburg ein glänzendes Geschäft.

Wirtschaftlich wichtiger wären aber die garantierten sechs Gruppenspiele der Vorrunde. Hieronymus sprach jüngst von einem möglichen Bruttoerlös von rund 40 Millionen Mark, übt sich allerdings in Zurückhaltung: „Wir verplanen kein Geld, das wir noch nicht haben.“ Aus den finanziellen Fehlern der Neunziger haben die Vereinsoberen ihre Lehren gezogen. Im auf zehn Jahre festgelegten Tilgungsplan des Kredits für den Stadionneubau (179 Mio.) sind für dieses Spieljahr zwei Runden im Uefa-Pokal eingeplant. Der Saisonetat ist mit 118 Millionen Mark so hoch wie nie.

In der Transferpolitik zeigten sich die Rothosen ähnlich freigebig: 5,5 Millionen Mark gingen für Marcel Ketelaer, dem damit teuersten Neuzugang der 113-jährigen Vereinsgeschichte, nach Gladbach, 3,5 Millionen für Sergej Barbarez nach Dortmund, 2,5 für Marek Heinz an Sigma Ölmütz und schließlich 850.000 Mark für Carsten Wehlmann direkt auf den Kiez zum FC St. Pauli. Ronald Maul (Bielefeld), Stig Töfting (Aarhus), Jochen Kientz (1860 München) sowie vier weitere wechselten ablösefrei an die Elbe. In Dimitrios Grammozis, der für 1,8 Millionen nach Kaiserslautern transferierte, und U-21-Nationalspieler Fabian Ernst, für den die Hanseatenschwester aus Bremen zwei Mille berappte, sind lediglich zwei relevante Abgänge zu beklagen.

Vor vier Spielzeiten noch passte sich der Hamburger SV bei der Spielfreude und Begeisterungsfähigkeit erfolgreich dem grauen Beton seiner Stadionschüssel an. Seither sorgen sich die Hamburger um tabellarische Beruhigung: Rang 13 folgten ein neunter, siebter und nun ein dritter Platz. Mit dem Elfmeter tötenden wie schießenden Nationaltorhüter Hans-Jörg Butt, dem Mittelfeldrenner Niko Kovac oder dem stürmenden Anthony Yeboah stehen zudem Spieler im nunmehr auf 32 Akteure aufgestockten Kader, deren Panini-Bildchen in der kommenden Spielzeit nur schwer zu bekommen sein werden.

Einvernehmen besteht unter den HSV-Liierten, dass man vorerst lange auf das nächste 0:0 im Volksparkstadion wird warten müssen. Denn die Binsenweisheit, dass nur gewinnen kann, wer sich zumindest bemüht, ins Alu-Gehäuse zu treffen, kann man dem Hamburger SV nicht absprechen.

Die 63 Treffer der letzten Serie, so viel wie seit über zehn Jahren nicht mehr, belegen das. „Der HSV ist in“, urteilte sogar der sonst eher leise tretende Coach Frank Pagelsdorf, dessen Vertrag zuletzt nicht grundlos vorzeitig bis 2004 verlängert wurde. Der Mann mit der lustigen Wo-ist-der-Ball-Statur hat in nur drei Jahren eine deutsche Spitzenelf geformt. Das Tor zur Welt müssen die Profis nun nur noch selber schießen.

Zitat:Holger Hieronymus: „Unsere Anhänger werden sich ab sofort noch wohler fühlen.“