Erneut Überfälle

Die Meldungen werden nicht weniger: Rechte prügeln sich durch den bundesdeutschen Alltag

BERLIN dpa/ap/taz ■ Hakenkreuze auf jüdischen Gräbern, ein Hitlergruß in der S-Bahn, misshandelte Pakistani – auch in den letzten beiden Tagen wüteten Rechte mit Spraydosen, Steinen und Nazisprüchen.

In Gera fielen drei betrunkene Rechtsextreme in einer Gaststätte über zwei Pakistani her. Sie warfen einen Stein, schlugen und traten die beiden 28- und 30-jährigen Männer. Als mögliche Täter nahm die Polizei drei Rechtsradikale fest, die gestern vor den Haftrichter gebracht wurden. Im thüringischen Gotha prügelten drei Jugendliche aus der rechten Szene einen 17-Jährigen und versuchten, ihn über ein Treppengeländer drei Meter in die Tiefe zu werfen. Derweil randalierte im Rheinland eine Gruppe junger Rechter: 29 Männer und Frauen beschimpften in der S-Bahn von Essen nach Düsseldorf ausländische Mitfahrer.

Auf den jüdischen Friedhöfen in Rockenhausen und Dielkirchen in Rheinland-Pfalz besprühten bisher unbekannte Grabschänder vierzehn Grabsteine mit Hakenkreuzen und SS-Runen. Diese Schändungen verdeutlichen eine Tendenz, sagt der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin: Nazi-Propaganda und Volksverhetzungen nehmen zu. Knapp 400 Verfahren, 115 mehr als im Vorjahr, wurden im ersten Halbjahr 2000 in Rheinland-Pfalz eingeleitet.

Obwohl die Polizei immer mehr rechte Straftaten zählt, werden nur wenige Haftbefehle ausgesprochen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es lediglich 31, so die Information der Bild-Zeitung unter Berufung auf das Bundesinnenministerium. Fast alle Verdächtigen – 96,3 Prozent – musste die Polizei wieder freilassen. Insgesamt gab es im ersten Halbjahr 760 rechtsextreme Straftaten. Schuld daran, dass so wenige rechte Täter vor Gericht gestellt werden, sei jedoch nicht die Justiz, sagt der Deutsche Anwaltverein. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, Staatsanwälte und Richter gingen zu unentschlossen gegen Rechtsextreme vor. Das Problem liege vielmehr darin, dass Ermittlung und Festsetzung der Täter sehr schwierig seien.

Um eben diese Festsetzung zu erleichtern, fordert nun die Polizeigewerkschaft eine länderübergreifende Datei. Alles Wissen über „Neonazis und gewalttätige Rechte“ müsse zusammengefasst und „jedem Polizisten in jedem Bundesland zugänglich gemacht werden“. In Berlin will die „Antifaschistische Aktion“ zeigen, dass jenseits von Polizei und Justiz auch die Bevölkerung rechte Ideologie vehement ablehnt. Sollte am 27. Januar 2001 die rechtsextreme NPD am Brandenburger Tor aufmarschieren, müsse eine Menschenkette das benachbarte Holocaust-Mahnmal umschließen – und so eine Verhöhnung der NS-Opfer verhindern. COS