Ph(r)ase shifting

Steve Reich spielt eigene Klassiker ■ Von Andi Schoon

In der Musik von Steve Reich wirken gegensätzliche Kräfte: Da ist die schnelle, stationäre Wiederholung und der schleichende Entwicklungsprozess. Dann gibt es die Kontrolle und das Chaos, und schließlich die schonungslos aufgebrochene Struktur, die den Hörer freundlich dazu einlädt, noch etwas in ihr zu verweilen. Es bieten sich verschiedene Arten an, diese scheinbaren Widersprüche zu beleuchten. Steve Reich selbst hätte sowohl eine musikimmanente, als auch eine philosophische auf Lager. Beide sind irgendwie lohnenswert.

Der 1936 in New York geborene Reich schloss bereits mit 14 Jahren sein erstes Schlagzeug-Studium erfolgreich ab. Danach wandte er sich der akademischen Philosophie zu, um im Anschluss daran längere musikalische Weiterbildungs-Reisen nach Afrika und Indonesien zu unternehmen. Von dort aus kehrte er mit einer Vision zurück.

Bereits 1965 hatte Reich an der Fertigstellung von Terry Rileys In C mitgewirkt, das gemeinhin als erstes Stück minimalistischer Musik gilt. Seine eigene Karriere nahm wenig später mit zwei parallel laufenden Tonbändern ihren Ausgang. Beide spielten permanent den gleichen Satz eines schwarzen Predigers auf dem Union Square: „It's Gonna Rain!“ Nach einer Weile begann sich die naturgemäß leicht unterschiedliche Abspielgeschwindigkeit der Tonbänder auszuwirken. Die Aufnahmen liefen aus der Phase, wie zwei sich überlagernde Patterns. Damit war das „Phaseshifting“ geboren. Reich übertrug dieses Schema alsbald auf herkömmliche Instrumente. In dem Stück Piano Phase von 1967 beginnen zwei Klaviere gleichzeitig mit einem kurzen, sich fortwährend wiederholenden Motiv. Im weiteren Verlauf des Stückes verschieben sie sich langsam gegeneinander, bis sie eine Sechzehntel-Note auseinander liegen, um sich danach wieder einander anzunähern und in der gleichen Phase zu schließen. In genau diesem Moment setzt ein neues Motiv ein, das auf gleiche Weise bearbeitet wird. Um diesen sehr anspruchsvollen Vorgang auf einer Bühne sachgemäß umsetzen zu können, forderte Reich von den Musikern völlige Konzentration und eine „intellektuell-sinnliche“ Vertiefung in die Musik. Er gestand den Akteuren keinerlei Interpretation zu. Sie sollten lediglich als Ausführende eines in Gang gesetzten Prinzips fungieren, das sich fortan selbst reguliert. „Ich möchte den Prozess das ganze Stück über hören können“, schrieb Reich 1968 in seinem Essay „Writings About Music“.

Zwar hielt sich Reich in Sachen Überbau stets bedeckter als die meisten seiner Mitstreiter. Bei aller Kalkulation konstatierte er aber immerhin, das sich in seiner Musik mehr befinde, „als ich dort hinein getan habe.“ Dieses Unvorhersehbare, das chaotische Moment des Minimalismus stellt sich indes mindestens genauso faszinierend dar wie die durchdachten Konzepte, die ihm vorausgehen. In den besten Augenblicken verdrängt das nicht-planbare Hören von Differenztönen und Kombinationsmelodien sogar die semi-wissenschaftliche Begeisterung über das gelungene Experiment.

In den späten 70er Jahren ergänzte Reich die schlichte Kargheit seiner ersten Kompositionen um orchestralere Ausdrucksmittel, unter denen sich nun sogar die ein oder andere barocke Formel tummeln durfte. Music For 18 Musicians, das zweite Stück des Abends, markiert den Startpunkt dieser Entwicklung, denn Reich bringt hier erstmals eine gefälligere Oberfläche ins Spiel.

Als um den Weg dorthin aufzuzeigen, hat er zur Eröffnung ein früheres Werk ausgewählt. In Drumming von 1970 entwickelte Reich eine Reihe seiner späteren Standard-Methoden: Einzelschläge und längere Pausen greifen ausgehend von einer einzigen rhythmischen Zelle so ineinander, dass sie erst in ihrer Gesamtheit einen musikalischen Zusammenhang ergeben. Das Prinzip beruht auf einer indonesischen Gamelan-Technik, die Reich für seine Zwecke „Interlocking“ benannte. Das Grundmodell von Drumming wird über 90 Minuten sukzessiv aufgefüllt und wieder durchlöchert. Während des gesamten Stücks agierte Reich außerdem geschickt mit Veränderungen der Klangfarbe. Am Schluss beschwert sich üblicherweise niemand darüber, dass die Tonart kein einziges Mal gewechselt hat.

Obwohl die Geschichte des Minimalismus auch eine der geteilten Lager ist, wird der Steve Reich-Abend im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals mit seinen sowohl kompromisslosen, als auch wohlklingenden Anteilen zu eher harmlosen Streitereien im Publikum führen. Und selbst die werden sich irgendwann in den endlosen Wiederholungen verlieren.

Steve Reich spielt mit dem Ensemble Modern die Stücke Drumming Pt.Iund Music For 18 Musicians, Montag, 14.8., 20 Uhr, Kampnagel Kk6