Leben im Kriegszustand

Der Elmshorner Gewerkschafter Uwe Zabel wird von Rechten mit Mordaufrufen bedroht – seinen Personenschutz muss die IG Metall zahlen

aus Elmshorn HEIKE HAARHOFF

Dass ausgerechnet ein Bulle ihm jetzt Kekse holen geht und freundlich nachfragt, ob es sonst noch was sein darf – nun ja, es gibt in jeder Lebenssituation Anlässe, über sich selbst zu schmunzeln.

Hier ist auch nicht Brokdorf. Hier ist nicht der Hamburger Kessel und auch keine Wache, in der unliebsame Demonstranten wie Uwe Zabel schon mal festgesetzt werden und Polizei und Staat und Repression verfluchen. Hier ist das IG-Metall-Büro von Elmshorn, ein schmuckloser Gewerkschaftsbau in einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, und auf der anderen Straßenseite sind ein Parkhaus und der Supermarkt mit den Keksen, und die Meter dazwischen könnten Uwe Zabel das Leben kosten. Man weiß nie.

Ein heranrasendes Auto, ein Irrer mit Knarre. Oder eine Glatze, die ihn vom Parkhaus aus mit Kamera beobachtet und anschließend mit dem Messer bedroht, wie neulich geschehen. Weswegen der Bulle, genauer gesagt der private Personenschützer des 1. Bevollmächtigten der IG-Metall-Verwaltungsstelle Elmshorn, auch mal die Einkäufe erledigt. „Dankenswerterweise“, sagt Uwe Zabel, der linke Gewerkschafter, der Arbeitgeberschreck, der Querulant. Dankenswerterweise. Gerade mit so viel Spott in der Stimme, wie der Galgenhumor erlaubt.

Der erste Aufruf war ein Transparent und hing am 14. April von einer Brücke über die Autobahn 23 herunter: „Uwe Zabel – Kopfgeld – 10.000 Mark Belohnung – tot oder lebendig“. Es folgten Handzettel, verteilt in Elmshorn und Umgebung: „Gesucht: Uwe Zabel, tot oder lebendig“. Und schließlich die Plakate, die er an einem frühen Montag Morgen Mitte Juli auf dem Weg zur Arbeit entdeckte: „Uwe Zabel – Die linke Ratte hält sich in Elmshorn u. Hamburg auf – Kopfgeld 10.000 Mark“. Unterzeichnet waren die Aufrufe mit ZOG, Abkürzung für „Zionist Occupied Government“, auch von der Neonazi-Gruppe „Hamburger Sturm“ in Publikationen verwendet. In deren Umfeld agieren bekannte Köpfe aus der norddeutschen Neonazi-Szene, viele wegen Körperverletzung oder versuchten Totschlags vorbestraft, alle für ihren Terror gegen „Zecken“ bekannt: Christian Worch aus Hamburg, seit den 70er-Jahren Schlüsselfigur der Neonazi-Szene, Peter Borchert aus Kiel, „Unterstützer des Hamburger Sturms“, Klemens Otto, „Kameradschaftsführer“ in Pinneberg.

Die Qualität der Attacken freilich hat mit dem Fall Zabel eine neue Dimension angenommen: Gezielte Mordaufrufe, die hatte es bisher nicht gegeben, jedenfalls nicht aus einem vergleichsweise unspektakulären Anlass. „Im Frühjahr 1999 riefen mich die Kiddies vom Elmshorner Jugendzentrum an“, erzählt Uwe Zabel. Es ging um ein geplantes Konzert „Rock gegen rechts“ und die Drohung von Neonazis, dann werde das Jugendzentrum platt gemacht. Zabel dachte: „Die spinnen.“ Hatte Elmshorn sich nicht bereits einmal aus eigener Kraft von den Nazis befreit? Na bitte. Eine gute Tradition. Und Mobilisieren, das hatte er als Interessenvertreter von Werftarbeitern und Elektroindustriebeschäftigten gelernt. Als 1. Bevollmächtigter hatte er zudem „mit ’nem Mal die Kompetenz, ein Aktionsbündnis gegen rechts auszurufen“. Plakate wurden gedruckt, Demos organisiert; Parteien machten mit im Aktionsbündnis, Verbände, Geschäfte, Schulen, Krankenhäuser, und an der Spitze: Bürgermeisterin Brigitte Fronzek (SPD).

Daraufhin flogen Steine, Molotowcocktails, Farbeier: gegen das Haus der Bürgermeisterin, gegen die Scheiben des IG-Metall-Büros. Die wurden mittlerweile durch schusssicheres Glas ersetzt, am Eingang finden Personenkontrollen statt, Briefe unbekannten Absenders öffnet ein Sprengstoffkommando. Für staatlich finanzierten Personenschutz indes reichten drei Mordaufrufe in Folge nicht. Zabels „Bullen“ bezahlt die IG Metall. Die „Gefährdungsanalyse“ habe diese Notwendigkeit nicht feststellen können, heißt es beim Landeskriminalamt in Kiel. Die Notwendigkeit für „erfolgreiche Hausdurchsuchungen“ bei Personen, die im Verdacht stehen, Zabels Kopf zu fordern, ergab sich sechs Monate, nachdem Zabel diesen Verdacht geäußert hatte.

Es ist diese zögerliche Art, der Gewalt von rechts Einhalt zu gebieten, die Uwe Zabel mürbe macht. Mehr noch als „der Kriegszustand, in dem ich lebe“. Denn es ist eine Sache, draußen nur noch mit kugelsicherer Weste herumzulaufen, Wohnadresse und Telefonnummer geheim zu halten und im Grunde genommen keinen Schritt mehr allein zu tun. Eine andere ist es, nur weil man eine große Klappe hat und mit bulliger Körperstatur nicht eben wie das klassische Opfer aussieht, immer wieder unterschwellig vorgehalten zu bekommen: Wer in die Schusslinie von Neonazis gerät, der muss es doch ein Stück weit mit seinem öffentlichen Auftreten selbst provoziert haben.

Zwar hat mittlerweile der schleswig-holsteinische Innenminister Klaus Buß (SPD) den Ernst der Lage erkannt und Zabel bei einem persönlichen Gespräch Unterstützung versprochen. Zwar hat sich inzwischen der gesamte DGB-Norddeutschland hinter die Elmshorner Kampagne gestellt. Doch innerhalb seiner eigenen Gewerkschaft, das weiß Zabel aus Umfragen, finden 17 Prozent der jüngeren Mitglieder immer noch, dass Arbeitsplätze erst mal für Deutsche geschaffen werden sollten.

Uwe Zabel ist jetzt 43. „Bis vor kurzem“, sagt er, „war ich dafür, Konflikte politisch auszutragen.“ Aber es bringt nichts, sagt er, „die Neonazis wollen keine politische Auseinandersetzung.“ Deswegen fordert er ab sofort: das Verbot ihrer Organisationen. Das Einsperren ihrer Führer. Das Ächten ihrer Parolen. Öffentlich und lautstark. Gern auch mit einem Bullen an seiner Seite.