Uruguay sucht seine Leichen

Das Beispiel Chile macht Schule: Uruguays Präsident Jorge Batlle gründet eine Kommission, um die sterblichen Überreste der Verschwundenen der Diktatur aufzuspüren. Eigentlich hatte das Land seine Vergangenheitsbewältigung für beendet erklärt

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Per Dekret hat Uruguays Präsident Jorge Batlle eine Kommission einrichten lassen, die das Schicksal der Verschwundenen während der Militärdiktatur (1973 bis 1985) in dem Land untersuchen soll. Die Kommission, so Batlle am Mittwoch, solle Informationen sammeln und analysieren. Es geht nicht darum, die Täter, denen Entführung, Folter und Mord vorgeworfen wird, vor Gericht zu stellen.

Mit der Einrichtung der Kommission macht sich Uruguay 15 Jahre nach dem Ende der Diktatur zum ersten Mal daran, seine jüngste Geschichte aufzuklären. In der Untersuchungskommission sitzen Kirchenvertreter, Gewerkschafter und Juristen. Batlle hat zugesichert, dass sie mit „absoluter Freiheit“ untersuchen können. „Die Entscheidung zur Bildung der Kommission hat vor allem einen Grund: Dem Land eine ethische und moralische Antwort zu geben“, sagte Batlle.

Bei seinem Amtsantritt am 1. März hatte Batlle versprochen, „den definitiven Frieden aller Uruguayer zu schaffen“. Die Gründung der Kommission ist der Anfang. Die Ziele der Kommission zu erreichen sei nicht einfach, meinte der Präsident, da „mit den Ergebnissen nicht alle einverstanden sein werden“.

Das Ziel der Kommission ist es nach Angaben des Erzbischofs von Montevideo, Nicolás Cotungo, die sterblichen Überreste der Verschwundenen zu finden. „Die Familien haben das Recht, die Reste ihrer Lieben zu haben“, sagte Cotungo der Tageszeitung El Observador. In einem Fall gebe es, so Cotungo, „bereits fortgeschrittene Untersuchungen.“

1986, ein Jahr nach der Rückkehr zur Demokratie, war in Uruguay ein Amnestiegesetz verabschiedet worden. Darin wurden alle Verfahren gegen Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen eingestellt. Allerdings erlaubte das Gesetz Untersuchungen über das Schicksal der Verschwundenen. Doch anders als für Batlle war für seine Vorgänger mit dem Amnestiegesetz das Kapitel Militärdiktatur in Uruguay abgeschlossen. Im Februar dieses Jahres, als Batlles Amtsantritt bevorstand, erhob Uruguays Linke die Forderung, die Vergangenheit des Landes doch noch aufzuklären. Nachdem Batlle einen General aus den Streitkräften geschmissen hatte, der meinte, das Militär müsse die Linke für Verbrechen nicht um Verzeihung bitten, begann er, sich mit Militärs zu treffen und sie auf das Thema anzusprechen. Die jetzt gebildete Kommission ist das Ergebnis dieser Gespräche.

Um herauszufinden, wo die Leichen der Verschwundenen liegen und wie sie ermordet wurden, ist die Kommission auf Hilfe der Militärs angewiesen. Die Gespräche mit den Militärs will Batlle persönlich führen. Wie er versicherte, gebe es in den Kasernen und Offiziersclubs keinen Widerstand gegen das Projekt.

Die Büros der Kommission stehen allen offen, die Informationen beitragen können. Am Montag will sie ihre Arbeit aufnehmen und schon in vier Monaten einen Bericht vorlegen.

Während der Militärdiktatur wurden in Uruguay zahlreiche Oppositionelle willkürlich festgenommen, gefoltert und ermordet. 160 von ihnen gelten bis heute als verschwunden. Die Spuren von einigen von ihnen verlieren sich in den Nachbarländern Argentinien und Chile, die ebenfalls vom Militär regiert waren. Die Unterdrückerregimes der drei Länder informierten sich untereinander über Namen und Aktivitäten von Oppositionellen und tauschten Gefangene aus. So konnte es durchaus vorkommen, dass jemand in Uruguay entführt wurde und in einem chilenischen Gefangenenlager ermordet wurde. Daher können die Kommissionsmitglieder auch ins Ausland reisen, um nach Spuren uruguayischer Verschwundener zu suchen.