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Alles prima, schöne Grüße!

Wenn der Postmann nicht mehr klingelt, ist die anspruchsvolle Ferienprosa vom Aussterben bedroht

von GÜNTER ERMLICH

„Hallo Ihr Lieben! Viele Urlaubsgrüße aus dem brüllend heißen Georgioupoli von Hella & Volker. Retsina lecker harzig, Souflaki und Schafskäse bis zum Abwinken, Strände ziemlich sauber. Also alles prima bis auf Hellas Sonnenbrand. Lasst Euch den Sommer nicht zu stark verregnen!“

Die Post ist heute Morgen eingetrudelt – als E-Mail. So geht das schon den ganzen „Sommer“. Urlaubs-Messages lagern poste restante in der elektronischen Mailbox. Kai hat sich sogar getraut, eine virtuelle Urlaubskarte „Windmühlen auf Mallorca“ zu mailen! Die „Lieben“ sind fernab der Heimat wohl zu faul geworden, eine anständige Urlaubskarte auszuwählen, die Rückseite wie gehabt per Hand zu beschriften und sie im Briefkasten zu versenken. Stattdessen hocken sie beim Joint oder Tee in einem coolen Internetcafé von Kathmandu oder Essaouira oder wer weiß wo und mailen Greetings! Wie abgefahren.

Ach, waren das noch Zeiten, als wir uns an bunten Ansichtskarten erfreuen konnten. Onkel Fritz sandte „Borkum ist eine Reise wert“ mit 13 klitzekleinen Inselimpressionen, darunter Badefreuden, Am Leuchtturm, Kurpromenade, Abendstimmung. Die Nachbarin, Frau Horsthemke, übermittelte Grüße nach Germania vom „Camping Europa“ am Cavallino Lido: „Vor allem haben wir bei so vielen Leuten alles andere als Langeweile.“ Und die Eltern schickten aus dem istrischen Pula eine Karte vom Hotel („Unser Zimmer geht zum Glück nach vorne raus“), damit sie ihr Fenster mit einem Kreuzchen versehen konnten.

Wegen der neumodischen Mailerei ist die gewachsene Ansichtskartenkultur – die sinnliche Erfahrung zauberhafter Motive und anspruchsvoller Ferienprosa – vom Aussterben bedroht. Nur unsere hochintellektuelle französische Freundin Sophie versendet noch standhaft in Rosarot getauchte Kirchen, atlantikumtoste Leuchttürme, Burgen und Schlösser („Chère Astrid, encore une carte kitsch pour ta collection“). Aber sonst? Fehlanzeige! Vergebens warten wir auf die einst beliebten Motive, die der Briefträger ins Haus zu bringen pflegte: Sonnenuntergänge von Bali bis Mexiko, Strandschönheiten und nackte Pos, Kurmuscheln und Gipfelkreuze, Seehunde und Flamingos. Selbst das Motiv „dumme Ziege auf der Alp“ wusste uns noch mit dem Spruch „Sie lässt Dich grüßen!“ zu erheitern.

Bald können wir mit dem Küchenschwamm keine Briefmarken mehr ablösen fürs Album unseres Informatik-Schwagers. Bald können wir an lauschigen Winterabenden keine exotischen Karten mehr nach Urlaubsregionen (Alpen, Mittelmeer, Ostfriesische Inseln, Sonstiges) im Schuhkarton archivieren. Und in Lehrerzimmern, Frisörsalons und Redaktionsstuben wird der Alltag ohne die Urlaubsgrüße der lieben KollegInnen noch trister. „Guck mal, der Reinhard hat schon wieder aus Bozen geschrieben.“ Man versuchte die Klaue zu entziffern, gackerte – und befestigte die Karte mit einem Magneten routiniert am grauen Büroschrank. Neben all den anderen.

Die Moral von der Geschicht? Wir halten es da lieber mit den Müllers von Christian Morgenstern: „Was ist das erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtspostkarten.“

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