Internet macht Nazis sichtbar

Websites mit strafbaren, rechtsradikalen Inhalten sind in Deutschland verboten. In den USA stehen sie unter dem Schutz der Verfassung. Gut so?

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Auch das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz kennt die genaue Zahl rechtsradikaler Websites in deutscher Sprache nicht. „Über 300“ sollen es sein, ist unter www.verfassungsschutz.de nachzulesen. Gelegentlich wird auch die runde Zahl 500 genannt. Keine einzige der Websites ist auf einem Rechner in Deutschland gespeichert. Zugänglich sind sie trotzdem auch hier. Dafür sorgt die Technik des Internet, der heute – nach jahrelangem Streit – auch das geltende deutsche Recht in gewissem Maße Rechnung trägt.

Gesetze greifen nicht

Übergeordnete, vorwiegend historische Gründe haben zu einer Beschränkung der vom deutschen Grundgesetz sehr wohl garantierten Meinungsfreiheit geführt. Der Gebrauch nationalsozialistischer Symbole etwa steht unter Strafe, und die einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches gelten ohne Einschränkung für alle juristischen und natürlichen Personen, die elektronische Medien benutzen.

Der oft zitierte Paragraph 5 des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes zieht daraus den Schluss, dass Anbieter von Internetdiensten haftbar sind für alle elektronischen Dokumente, die sie „zur Nutzung bereithalten“. Internet-Diensteanbieter im Sinne des Gesetzes sind insbesondere verpflichtet, in Zusammenarbeit mit der Polizei für die Entfernung von ungesetzlichen Daten zu sorgen.

Diese sehr eindeutigen Vorschriften verhindern heute, dass strafbare, rechtsradikale Parolen auf deutschen Webservern dauerhaft gespeichert werden. Sie haben jedoch keine einzige rechtsradikale Website aus dem Internet verbannt und auch nicht verhindert, dass solche Websites in Deutschland abgerufen und gelesen werden können.

Für das Internet ist es nahezu egal, an welchem physischen Ort Daten aufbewahrt werden. Deutsche Rechtsradikale speichern ihre Seiten im Ausland, vorzugsweise in den USA. Der technische Aufwand für den Export der Daten ist minimal, die Kosten für ihre Speicherung bei irgendeiner von vielen hundert Firmen, die diese Dienstleistung kommerziell anbieten, sind gering.

Vor allem aber gilt in den USA noch immer das „First Amendment“ zur Verfassung aus dem Jahr 1791, ein klassischer Text der politischen Philosophie, der auch in manchen deutschen Schulbüchern als leuchtendes Vorbild der Formulierung eines Bürgerrechts zitiert wird, nämlich des Rechts, eine Meinung jederzeit und unbehindert von staatlichen Gesetzen äußern zu dürfen.

Kein amerikanisches Gericht wird jemals dem Ersuchen einer deutschen (oder irgendeiner anderen) Regierung nachkommen können, eine Website auf einem amerikanischen Server zu löschen, weil sie rechtsradikale Meinungen enthält. Jede Forderung nach einem wirksamen Verbot rechtsradikaler Websites, zuletzt etwa vorgetragen von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, zeugt daher lediglich von einem gewissen Informationsmangel. Die technische und wirtschaftliche Revolution des Internet besteht gerade darin, dass ein Dokument auf einem Computer in Amerika ohne nennenswerte Schwierigkeiten auch auf einem Computer in Deutschland gelesen werden kann.

Noch Mitte der Neunzigerjahre haben deutsche Ermittlungsbehörden versucht, die dafür notwendige Übertragung von Daten der deutschen Rechtsprechung zu unterwerfen. Weltweit bekannt geworden ist der Fall CompuServe, eher nationale Beachtung fand der Versuch des Bundesanwalts, den Zugang zur linksradikalen Zeitschrift radikal zu sperren, die auf einem niederländischen Server gespeichert war. Die Behörden sind in beiden Fällen kläglich gescheitert. und das genannte Informations- und Kommunikationsdienstegesetz stellt deshalb aus gutem Grund die Internet-Diensteanbieter von der Haftung für den Inhalt all der Daten frei, die sie an den Endadressaten weiterleiten.

Die deutsche Justizministerin hat Anfang Juni Initiativen zu einer internationalen Sanktion rechtsradikaler Propaganda im Internet angekündigt. Unternehmen wie der Bertelsmann-Konzern haben ein gewisses Entgegenkommen versprochen – und gestern hat AOL mitgeteilt, bestimmte, bisher auf seinen Rechnern zugängliche Seiten von Rechtsradikalen zu sperren. Sie werden dadurch so wenig aus dem Internet verschwinden wie die anderen rechtsradikale Angebote.

Über den weiteren Erfolg der deutschen Initiative bei Privatunternehmen lässt sich spekulieren, an der amerikanischen Rechtslage wird sie nichts ändern. Schon lange empfehlen Sprecher amerikanischer Institutionen den ihnen grundsätzlich sympathischen deutschen Gegnern rassistischer Propaganda einen anderen Umgang mit den Rechtsradikalen.

Lesen statt verbieten

Unübertrefflich elegant pflegt Esther Dyson, die Vorsitzende der Icann, der obersten Regulierungsinstanz des Internet, ihren Einwand so zu formulieren: „Oh, that should be answered, not forbidden.“ Auch für diese Maxime gibt es zahlreiche Beispiele im Netz. Seit vielen Jahren veröffentlicht die jüdische Organisation „Nizkor“ jede irgendwie zugängliche Adresse von Rechtsradikalen im Netz. Nur das scheint der Organisation, die ihre Website (www.nizkor.org) den Opfern des Holocaust gewidmet hat, eine angemessene Antwort auf die braune Gefahr.

Wer die Neonazis und andere Rassisten ernsthaft bekämpfen wolle, so erläutert Nikor sein Projekt, der sollte schon sehr genau zur Kennnis nehmen, was sie sagen und denken. Nirgendwo lässt sich das besser erkennen als auf den Websites, die Neonazis ins Internet stellen. niklaus@taz.de