Der fortgesetzte Abschied

Die Perserin Farideh Akashe-Böhme ist Migrantin. Über Auf- und Ausbrüche hat sie ihre Autobiografie geschrieben

Migration heißt immer auch biografischer Bruch. Das Besondere an der Migrationsgeschichte von Farideh Akashe-Böhme ist, dass jede Migration für sie auch einen Modernitätssprung bedeutete. Drei Stationen und 30 Jahre ihres Lebens beschreibt sie in ihrer Biografie: die Welt ihrer frühen Kindheit in einer entlegenen Gebirgsregion im Persien der 50er-Jahre, ihre Schulzeit in dem sich wirtschaftlich schnell entwickelnden Erdölhafen Abadan und ihre Ehe- und Studienzeit in der Bundesrepublik der 70er-Jahre.

Die Soziologin stellt sich dabei in die Erzähltradition ihrer Kultur. In einfacher, anschaulicher Sprache erzählt sie die Geschichte ihrer Familie vom Nomadentum zum Großgrundbesitz und beschreibt aus kindlich verengter Perspektive ihre Lebenswelt als Tochter des Clans in der Burg von Chah Barrdi. Noch unberührt von den Tentakeln der Moderne, ohne Geld, Auto, Strom, fließendes Wasser und Radio unter feudalen Verhältnissen, sozialer Hierarchie und rigiden Geschlechtsrollen wirkt diese Welt wie ein Märchen aus anderer Zeit.

Mit der Umsiedlung in die boomende Erdölstadt Abadan überspringt Farideh einige Jahrhunderte. Während in der Burg ihrer Väter die Feudalepoche zusammenbricht, wird sie in eine moderne urbane Infrastruktur und in das Bildungszeitalter katapultiert. In der Stadtwohnung fühlt sie sich eingesperrt und unfrei, aber sie liebt die Schule. Mit zwölf erlebt sie erstmals die volle Verfügungsgewalt des patriarchalen Regimes: Sie wird verlobt. Den Kampf gegen Fremdbestimmung nimmt sie mit einem Selbstmordversuch als Protest auf. Die Verlobung wird gelöst, aber kurz darauf wird sie einem Verwandten versprochen, der zum Studium nach Deutschland geht.

Nach Abschluss der Schule folgt sie ihm in das vor Fremdheit und Kälte starrende Land. Wieder ist ihre Migration nicht von Hoffnung getrieben, sondern von Zwang und Bevormundung. Doch diese Etappe nimmt die junge Frau zum Ausbruch: Langsam befreit sie sich aus der gewaltförmigen Ehe, sie studiert und wird in der iranischen Studentenbewegung politisiert. Sie gerät in einen schmerzlichen wie befreienden Prozess der Subjektwerdung, geprägt durch die Entfremdung von der Familie und der Sehnsucht nach verlorenen Zeiten.

Als sich das islamistische Chomeini-Regime im Iran etabliert, entfernt sich Akashe-Böhmes Leben in Deutschland noch weiter von ihrem Herkunftsland. An Rückkehr ist nicht mehr zu denken. Migration als langer Abschied setzt sich fort.

CHRISTA WICHTERICH

Farideh Akashe-Böhme: „Die Burg von Chah Barrdi“. Brandes & Apsel, Frankfurt/Main 2000, 164 Seiten, 29,90 DM