Präambel novelliert

Nach dem 4:0 über Stuttgart erreichen auch hartnäckige Schönspieler die nächste Klasse in der Freiburger Schule

FREIBURG taz ■ Volker Finke schien im Zustand allertiefster Verzweiflung. Mal drehte er sich mit dem Rücken zum Spielfeld und legte den Kopf auf die über der Stuhllehne verschränkten Arme. Und kaum eine Minute später stand der Freiburger Cheftrainer wild schimpfend an der Seitenlinie, um sich dann mit einem entnervten Abwinken wieder wegzudrehen. Aber warum nur? Seine Mannschaft führte doch mit 3:0, während im Dreisamstadion gerade die letzte Viertelstunde angebrochen, und Gefahr schon längst keine mehr im Verzug war.

Im Gegenteil: „Im Prinzip“, gestand der Stuttgarter Trainer Ralf Rangnick später, „haben wir eigentlich nur noch den Schlusspfiff herbeigesehnt nach dem 3:0“. Das war kurz nach dem Seitenwechsel gefallen, und ganz anders als der Gästetrainer hätten die von einer berauschenden Vorstellung entrückten SC-Fans am liebsten auch noch weiterspielen lassen, als es beim Stand von 4:0 dann wirklich zu Ende war. Weil sie auch an dem Gefallen gefunden hatten, was Trainer Finke gegen Ende der Partie so auf die Palme brachte: Dass nach der Erledigung der Pflicht ordentlich in der Zauberkiste gekramt und dabei gelegentlich die Präambel des Freiburger Fußball-Gesetzbuches außer Kraft gesetzt wurde, nach der der Ball immer und unverzüglich zum besser postierten Kollegen weiterzuleiten ist.

Andreas Zeyer, einer der Erfahrenen im Freiburger Teenie-Team, hatte jede Menge Verständnis („Wir haben halt viele Spieler, die gerne was probieren“) für die überbordende Lust an Hebern, Hackentricks und Hinterhaltsschüssen. Und auch Trainer Finke durfte sich nach Spielschluss wieder versöhnt geben. Schließlich waren alle vier Treffer mit blitzsauberen Kombinationen eingeleitet worden und konnten als eindrucksvolles Anschauungsmaterial in den Fundus der Freiburger Schule übernommen werden.

Bis zur ersten Demonstration, wie das schnelle Spiel mit dem kurzen Pass im Idealfall funktioniert, hatte es gerade mal vier Minuten gedauert. Baya, Ramdane, Weißhaupt, Iashvili hießen die Durchgangsstationen des SC-Express, bevor Björn Dreyer die flache Hereingabe am langen Pfosten über die Linie drückte. Für Ralf Rangnick war die Szene „symptomatisch für das ganze Spiel“. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal zeigte seine Elf eklatante „Umschaltprobleme, im Kopf und in den Beinen“. Einige wären wohl beim Studium des Dienstplanes „mit dem Finger verrutscht“, mutmaßte Rangnick, „Tag der offenen Tür ist beim VfB nämlich erst am Sonntag“. Seinem Sportdirektor Karl Heinz Förster war nach solchen Späßen nicht mehr zumute: „Wir wussten schon vorher, dass es wieder eine schwere Saison wird – auch wenn wir hier natürlich nicht mit einem 0:4 gerechnet haben.“

Auf Freiburger Seite sah man sich in Sachen Saisonprognose trotz Derby-Gala und erster Tabellenführung in der Bundesligageschichte noch immer auf der Stelle treten. „Wir wussten vorher nicht, wo wir stehen“, sagte Volker Finke, „und jetzt wissen wir es auch nicht.“ Vermutlich wird sich kommende Woche aber etwas entspannter als in der vergangenen darüber sinnieren lassen, was die Mannschaft wohl auf dem Kasten hat. Und zumindest eines ist jetzt schon sicher: Beim Sport-Club versucht man weiterhin, „einen Fußball zu spielen“, der Torhüter Richard Golz auch in seinem dritten Freiburger Jahr „immer noch überrascht“.

Es ist „eben moderner Fußball“, sagte er am Samstag, „das, was man jetzt eigentlich von der Nationalmannschaft erwartet.“ Was plötzlich sehr euphorisch klang. Aber nach einem 4:0 im Derby genauso verständlich war, wie vorher das Kramen in der Zauberkiste. ULRICH FUCHS

SC Freiburg: Golz - Schumann, Zeyer, Diarra - Dreyer (59. Müller), Kehl, Baya, Weißhaupt (57. Dorn), Kobiaschwili - Iaschwili, Ramdane (63. Coulibaly) VfB Stuttgart: Hildebrand - Schneider (46. Endreß), Soldo, Bordon (30. Seitz), Carnell - Pinto, Lisztes, Thiam, Balakow - Dundee, Hosny (64. Ganea)Zuschauer: 25.000; Tore: 1:0 Dreyer (4.), 2:0 Zeyer (27.), 3:0 Baya (48.), 4:0 Dorn (80.)