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: Das neue „Kursbuch“ widmet sich Vaterbeziehungen

Kuck mal, wer da spricht

Von den Vätern scheint man nur in der ersten Person reden zu können. Irgendwann „habe ich meinen Vater gehasst“, bekennt Yaak Karsunke, während Eva Demski ihren Papa liebt: „Kein Tag, an dem ich ihn nicht vermisse.“ Tilman Spengler betrachtet sich selbst als Vater, bei Berthold Rothschild verschmilzt alles: „Der Vater, den ich hatte, und derjenige, der ich bin, sie sind verbunden . . .“

Die vielen Ichs fallen auf. Selbst in einer Zeitschrift wie dem Kursbuch, das dem subjektiven Blick schon immer Platz eingeräumt hat und das sich der unpersönlichen Totalen mit beinahe jedem gedruckten Beitrag verweigert. Doch im aktuellen Heft ist die Ego-Dichte so groß, dass sich die Frage aufdrängt: Wer spricht da?

Yaak Karsunke ist immerhin ein echter Literat. Seine Geschichte ist ein Entwicklungsroman im Miniaturformat. Am Anfang wird der pubertierende Sohn von seiner Mutter eingeweiht: Der Vater betrügt seine Frau, und das nicht zum ersten Mal. Am Ende hat sich der Volljährige vom Vater emanzipiert, fast hätte er ihn verprügelt. Zwischen Pubertät und Erwachsensein, sieben symbolische und reale Jahre lang, steckt der Sohn in der Klemme. Papa ist der „Familientyrann“, und Mama lässt sich von ihrem Großen trösten. „In dieser Zeit habe ich meinen Vater gehasst, wahrscheinlich auch mich selbst wegen meiner eigenen Ohnmacht“, liest man und versteht: Karsunke spricht von sich selbst – als Opfer. Ein Mann von 66 Jahren.

Es folgt eine hingebungsvolle Hommage von Eva Demski. Zärtlich muss ihr Vater gewesen sein und humorvoll, einer, der Kinderzimmerwände bemalte und später Gedichte vorlas. Alles war glänzend, nur: „Ich wäre ja, im magischen Jahr achtundsechzig, so gern anders gewesen“, lautet das Bekenntnis der Tochter. „Der Vaterkampf war damals unabdingbar, ohne ihn gehörte man nicht dazu.“

Offenbar ist es unausweichlich: Wenn zwei oder drei im Namen des Vaters versammelt sind, ist Sigmund Freud mitten unter ihnen. Der Therapeut Horst Petri plädiert für die Restaurierung einer starken Vaterrolle angesichts von „Erkrankungen“ wie Verwahrlosung, Gewaltneigung und Kriminalität, die von der allzu verbreiteten Vaterentbehrung mit verursacht würden. Anders als die emotionale Mutter vermittele der Vater dem Kindergartenkind die Welt „durch aktive Konfrontation, Ermutigung, Förderung und gesellschaftlich vorgegebene Normensysteme“. Aktive Mütter, nicht leibliche Väter oder gar Konzepte jenseits des Mutter-Vater-Kind-Dreiecks kommen hier nicht vor.

Berthold Rothschild, ebenfalls Psychoanalytiker, verspricht einen Beitrag „Über die Ödipustheorie“ – und nutzt die Gelegenheit, um dem Publikum eifrig von den eigenen „kläglich-väterlichen Faxen“ zu erzählen, den „verlegen-stolz sich aufdrängenden sozialen Games“, die während der Stillzeit seines Sohnes leider ein „zaghaftes Klopfen“ an der verschlossenen Tür des Mutter-Kind-Idylls blieben. Kitsch? Nun, andere Autoren berichten aus der therapeutischen Praxis, wie Tilmann Moser. Sie holen Jacques Lacan zu Hilfe, um die Rolle der Doktorväter zu beschreiben, wie der Informatiker Bernd Mahr. Oder sie zitieren Alexander Mitscherlichs knapp 40 Jahre alte Diagnose von der „vaterlosen Gesellschaft“, das machen fast alle.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hat Jürgen Kaube in der FAZ das Kursbuch als eine Zeitschrift charakterisiert, die sich seit ihren Anfängen 1965 durch ihr unprogrammatisches Programm ausgezeichnet habe. Die bloßen Themen hätten den Schwerpunkt der Hefte gebildet, „nicht ein bestimmter Stil, eine abgrenzbare Theorie oder eine sei es noch so lockere intellektuelle Gruppierung“. Für die Geschichte des Kursbuchs mag das zutreffen; das aktuelle Heft dagegen ist seltsam einförmig. Wer etwa nach heutigen Vätern sucht – sagen wir: die in den Büros oder auf den Arbeitsämtern, an den Wickeltischen oder auf Elternabenden, in Romanen oder Vorabendserien –, erfährt fast nichts. RENÉ AGUIGAH

„Kursbuch 140. Die Väter“. Rowohlt Berlin Verlag 2000, 184 S., 18 DM