Vor Grönland liegt eine Atombombe

32 Jahre nach dem Absturz eines US-amerikanischen B-52-Atombombers finden ehemalige Arbeiter der Thule-Militärbasis heraus, dass eine von vier Bomben nie gefunden wurde. Die USA hatten die dänische Regierung systematisch belogen

von REINHARD WOLFF

Im Atlantik vor der Küste Nordwestgrönlands liegt eine Atombombe. Sie trägt die Nummer 78252 und hing ganz unten im linken Bombenschacht eines Atombombers vom Typ B 52, der am 21. Januar 1968 nahe der grönländischen US-Basis Thule abstürzte. Die US-Behörden hatten damals nach dreimonatiger intensiver Aufräumarbeit Vollzug gemeldet: Man habe das Flugzeugwrack samt aller vier Bomben gefunden und alles ordnungsgemäß weggeschafft.

Doch die Wahrheit sieht anders aus. In US-Archiven wurden jetzt Beweise dafür gefunden, dass das Pentagon noch Monate nach der offiziellen Vollzugsmeldung in aller Heimlichkeit weitersuchte – und dann aufgab: Bombe 78252 wurde nie gefunden.

Es ist die Interessenvertretung ehemaliger Thule-Arbeiter – die bei den Aufräumarbeiten in stark strahlender Umgebung eingesetzt und teilweise schwer gesundheitlich geschädigt worden waren –, welche jetzt in US-Archiven der nicht geborgenen Bombe auf die Spur kam. Aufgrund des unter Präsident Clinton erweiterten Öffentlichkeitsgesetzes hatten sie erstmals die Möglichkeit, auch als heimlich und vertraulich gestempelte Papiere einzusehen. Die Akten waren vorher einzeln auf mögliche Staatsgeheimnisse durchgesehen und manuell geschwärzt worden. Doch dabei war offenbar geschlampt worden.

Denn mitten unter tausenden von Dokumenten und aus vermutlich versehentlich nicht geschwärzten Unterlagen der US-Atomenergiekommission ergab sich aus einem von General Edward B. Giller am 18. März 1968 unterschriebenen Bericht, dass von der Bombe 78252 nur eines gefunden worden war: der Fallschirm, an welchem sie bei dem Bomberabsturz hätte auf dem Boden landen sollen.

Die USA hatten, so ein Bericht vom 12. April 1968, jeden Metallsplitter, jeden kleinsten Teil der anderen abgestürzten Bomben genau zuordnen können – den anderen drei Bomben. Ohne Dänemark zu informieren, versuchte ein US-U-Boot noch Monate nach dem offiziellen Ende der Suche, die 78252 aufzuspüren. Ohne Erfolg.

Wie planmäßig man die dänische Regierung hinters Licht führte, geht aus einem Schreiben vom 27. August 1968 hervor, in welchem die Atomenergiekommission beruhigt wird, man habe „wie verabredet nur die ausgewählten Teile“ von Videoaufnahmen Kopenhagen zugänglich gemacht.

„Gerüchte, dass etwas faul war, hat es eigentlich immer gegeben“, sagt Mogens Boesen, Sekretär der Organisation der Thule-Arbeiter: „Aber nun haben wir endlich den Beweis.“ Irgendwo rostet also Nummer 78252 mit ihrem Plutonium vor sich hin. Seit 32 Jahren.