Fluchtweg zum Flughafen

Die Party ist der Star, nicht der DJ: Ian Pooley würde deswegen nie mit WestBam auf einem Mega-Rave auflegen

Ian Pooley ist, man muss das wohl so sagen, ein eher unscheinbares und auch nicht ganz dünn geratenes Menschenkind. Ian Pooley, so viel ist schon mal sicher, sieht nicht aus wie ein Star – nicht hinter seinen Plattenspielern und nicht in einem Kunstledersessel in einem aseptischen Berliner Hotelzimmer an einem warmen Sommertag.

Trotzdem: Ian Pooley ist ein Star. Ein internationaler DJ-Star. In den USA und in Australien, in Belgien und in Spanien und demnächst vielleicht auch hier. Tatsächlich ist sein neues, zweites Album „Since Then“ so eingängig geraten, dass man darüber glatt das hässliche Cover vergisst. Erstmals hat Pooley in seine meist entspannt schnippenden House-Tracks nicht nur lateinamerikanische Rhythmen, sondern auch brasilianischen Gesang integriert. Nun könnte man unterstellen, das sei ein komischer Zufall. Schließlich ist in den letzten Monaten eine kleine Brasilienwelle losgetreten worden, und Tanzböden wie Chill-out-Lounges werden mit wohltemperierter Elektronika im Samba-Rhythmus geschwemmt.

Ian Pooley sieht in seiner Platte natürlich keine Anbiederung an den Trend. Sondern ausschließlich Ausdruck dessen, was er selbst in den letzten beiden Jahren an Musik gehört hat. Auf seiner Playlist führen denn auch diverse Gilbertos, Bonfu und Jobim, also die Koryphäen des Bossa Nova, eine friedliche Koexistenz mit Kraftwerk, Blumfeld, Erik Satie oder Deichkind. Zusammengearbeitet hat er mit so grundverschiedenen Aktivisten wie dem Berliner Riotboy Alec Empire sowie seinem Dauerpartner Thomas Gerlach aka DJ Tonka. Kurz: Der Mann ist offen für alles, was gut ist. Tatsächlich sampelt er manchmal sogar elektrische Gitarren und baut daraus Stücke, die „ziemlich interessant klingen“ und ganz klassischer Indierock sind. Oder besser gesagt: sein sollen. Man muss ihm das erst mal einfach so glauben, denn diese Stücke sind bislang noch unveröffentlicht. Demnächst will er das nachholen, aber „auf keinen Fall unter Ian Pooley“.

Der Markenname Pooley steht schließlich seit mehr als acht Jahren für House – auch wenn sich Popmusik mittlerweile gefährlich nahe an Pooleys House-Begriff angenähert hat. „Vom Arrangement und von den Melodien her ist es kein Pop. Ich benutze keine richtigen Hooks, ich benutze keine Popmittel“, wehrt sich Pooley gegen diese Annäherung – und gibt im nächsten Atemzug zu, dass ihm die Comeback-Single von A-Ha gefällt. Pooley selbst mag nicht in derzeit populären Kategorien denken, aber manches Stück von „Since Then“ hat das Potenzial, sich in den Mainstream einzufügen. Pooley sieht die Sache eher von der anderen Seite aus: „Heutzutage ist House eben so breit gefächert.“

Weil Pooley ein internationaler DJ-Star ist, wohnt er in Mainz. Natürlich wohnt er auch in Mainz, weil er da schon immer gewohnt hat, weil seine Freunde da wohnen. Aber ein nicht ganz unwesentlicher Grund ist der, dass der Frankfurter Flughafen nicht weit weg ist. Das ist wichtig für einen, der gestern aus den USA zurückkommt, morgen mal schnell ein Wochenende lang in Belgien auflegt, nächste Woche nach Spanien jettet und jeden Winter einen Monat durch Australien tourt. Im Booklet von „Since Then“ sind in Schnappschüssen Barcelona, Edinburgh, Sydney, Adelaide, Auckland und Malta dokumentiert, so, als wollte die Plattenfirma ihren Kunden die Internationalität des Produkts Ian Pooley beweisen.

Schon als Pooley vor zwei Jahren nach ungezählten Maxis für Force Inc., die Zentralstelle für avancierten Techno, sein erstes komplettes Album „Meridian“ herausbrachte, war das Medieninteresse enorm. Die Platte landete allerdings nur da, wo Pooleys Platten schon vorher immer gelandet waren: in den Dance- und Club-Charts. Der Crossover gelang bisher anderen.

„Ich hätte ja wie Sven Väth mir die Hits kaufen und hinterm Plattenspieler rumspringen können“, sagt Pooley, und es klingt nicht einmal ansatzweise so verbittert, wie es sich liest. Schließlich hat er den Herrn Väth selber schon mal remixt. Und was tut man nicht alles für Geld? Eben nicht alles, vor allem nicht auf Mega-Raves: „Ich lebe auch so ganz gut. Ich gehe ungern Kompromisse ein, und ich würde nie auf einer Mayday auflegen. Das habe ich immer abgelehnt, ich war auch noch nie da. Ich würde nie mit WestBam zusammen auf einer Party auflegen.“

Immer noch vertritt Pooley tapfer die mittlerweile ebenso sympathische wie antiquierte Idee vom gesichtslosen DJ, der hinter die Musik zurücktritt, der auflegt, was der Tanzboden fordert: Der Star ist die Party. „Ich mag nicht im Mittelpunkt stehen“, sagt er. Seine Helden sind die legendäre Typen des Genres wie Jeff Mills, Derrick May oder Juan Atkins, deren Namen und Tracks fast jeder und deren Gesicht kaum jemand kennt. Diesen Status hat sich in den letzten zehn Jahren auch der mittlerweile 27-jährige Pooley erarbeitet.

Dieser Status allerdings, wir erinnern uns, könnte sich demnächst ändern. Auch ihm ist klar, „dass es natürlich Platten gibt, die sehr undergroundig und housig sind und trotzdem plötzlich einen Crossover schaffen“. Nach Cassius oder Basement Jaxx könnten Pooley und seine unwiderstehlichen brasilianischen Exkursionen der nächste respektable House-Act sein, der sich in die Charts verirrt. Aber sollte das passieren und Ian Pooley hier zu Lande nun ganz und gar kein Star werden wollen: Noch wohnt er ja nicht weit entfernt vom Flughafen.

THOMAS WINKLER

Ian Pooley: „Since Then“ (V2)