pampuchs tagebuch: Postalische Kollateralschäden
Umziehen (ich meine das von Wohnung zu Wohnung und nicht das von Wäsche zu Wäsche) gehört – so habe ich neulich im Fernsehen erfahren – nächst dem Tod von nahen Freunden und Verwandten zu unseren emotional tiefstgehenden Erlebnissen. Sat.1 sprach von „Heimatverlust“ und von „Adrenalinausstößen“ im Grenzwertbereich. Und Herr Zapf, Deutschlands Oberumzieher (dessen Pappkartons konkurrenzlos billig sind), guckte auch ziemlich ernst drein, als er die Lademassen seiner Kundschaft taxierte. Ich selbst habe allein für meinen Umzug zunächst 25 seiner Kisten besorgt, dann aber vom Supermarkt um die Ecke eine Woche lang gratis Bananenkartons gehortet – was für den Selbsttransport von Büchern noch konkurrenzloser ist als Zapfs Faltkisten für leichteres Stückgut.
Emotional viel tiefer gehend als die ganze Packerei, Räumerei, Schlepperei und Putzerei ist heutzutage freilich die Frage, was mit dem Telefonanschluss in der neuen Wohnung passiert und ob man die Kurve zu ISDN ohne postkollaterale Schäden übersteht. Schon Wochen vor dem Umzug bin ich in den Telekom-Laden gepilgert und habe mich strategisch auf die Stunde null in meiner neuen ISDN-Wohnung vorbereitet. Ich habe dicke Gratiskataloge und Handbücher heimgeschleppt und die Einleitungen gelesen. Die sind Furcht erregend: Vom „undurchdringlichen Dickicht der modernen Kommunikationsmöglichkeiten“ ist die Rede und dass „die Entwicklung . . . in der Kommunikationstechnik erheblich schneller voran[geht] als in den meisten anderen Lebensbereichen“. Dann aber heißt es: „Sie brauchen nicht zu verzweifeln, denn die Lösung für dieses Problem halten Sie gerade in der Hand.“
So lobe ich mir die Telekom. Doch ich habe nicht weitergelesen, sondern mit meiner IT-Freundin A., die mir die geheimnisvollen Kästchen namens NT und „Wandler“ zur Verfügung stellte, in friedvoller Heimarbeit alles selbst installiert. Ich weiß zwar nicht genau, wie es funktioniert, aber ich kann jetzt endlich gleichzeitig surfen und telefonieren, was ja für einen Internetkolumnisten höchlichst an der Zeit ist. Und dazu kann ich auch noch auf meinem anderen Telefon angerufen werden – glaube ich wenigstens. Das heißt, endlich können wir die Probleme die bei der rasend schnellen Entwicklung der Kommunikationstechnik auftreten, zumindest nachhinkend solidarisch und vernetzt lösen. Es ist ein bisschen wie bei der Ehe: Auch die Kommunikationstechnik scheint eine Institution zu sein, die dazu da ist, die Probleme zu lösen, die es ohne sie nicht gäbe.
Mein freundlicher Beamter von der klassischen gelben Kommunikationstechnik, Herr H., (der wie der TOM-Schalterbeamte aussieht, aber eine durchweg positive Figur ist), gab mir bei einer meiner zahllosen Aufwartungen, die ich ihm wegen organisatorischen Umzugskrams machte, nicht nur den praktischen „Umzugsratgeber“ der Post, er verriet mir beiläufig auch eine heiße Adresse: www.epost.de. Dahinter verbirgt sich nichts Geringeres als das „Kommunikationsportal der Post“. Ähnlich wie die Leute, die in neuen Wohnungen einer ungewissen Zukunft entgegenschreiten, stellt sich nämlich auch die alte gelbe Post jetzt mutig der Moderne. Wer durch dieses Portal geht, der bekommt nicht nur eine kostenlose E-Mail-Adresse, er kann auch Briefe am Computer schreiben, die die Post dann ganz traditionell mit Umschlag versendet. Und bezahlen kann er das Ganze auch elektronisch: per „CyberCash“ – von wegen „eine Eine-Mark-Marke“. Kein Schlangestehen am Schalter, kein Eintüten, kein Lecken mehr – dafür ISDN, NT, IAE,TK, VK . . . und „Wandler“: Im undurchdringlichen Dickicht des Heimatverlusts. THOMAS PAMPUCH
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