Sorgenfreier Sex oder sexfreie Sorgen?

Die Firma Nourypharm feiert ihr Verhütungsstäbchen Implanon, dass drei Jahre lang wirkt. Kritiker hingegen verweisen auf das ähnlich wirkende Implantat Norplant, gegen das in den USA 50.000 Frauen geklagt hatten

Schluss sei mit dem leidigen Denken an die Pille – mit der Panik, wenn am Monatsende unerwartet noch Pillen in der Packung verblieben sind. Denn jetzt verspricht die Vertreiberfirma Nourypharm den Frauen sorgenfreien Sex für drei Jahre durch ein „völlig neue Methode zur Empfängnisverhütung“. Implanon, ein streichholzgroßes Hormonröhrchen, das innerhalb von drei Minuten problemlos in den Oberarm eingesetzt und auch ebenso schnell wieder herausgenommen werden kann.

Das erste auf dem deutschen Markt erhältliche Implantat zur Schwangerschaftsverhütung gebe über drei Jahre „kleinste Mengen“ des Gestagenhormons „Etonogestrel“ in den Körper ab. In einer Studie an 2.500 Frauen wurde während 73.000 Zyklen keine einzige schwanger. Damit sei Implanon deutlich sicherer als die ebenfalls auf Gestagenhormonen basierende Minipille, die täglich immer zum gleichen Zeitpunkt genommen werden muss, um eine Schwangerschaft sicher zu verhindern. Das Implantat sei „sehr verträglich“, so der Hersteller – Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Brustspannen klängen nach den ersten Monaten ab. Allerdings könnten die unübersehbaren Nebenwirkungen Akne und unregelmäßige Monatsblutungen fortbestehen.

Doch Kritiker verweisen auf drastische Nebenwirkungen von Implanon, bei denen auch die Lust auf der Strecke bleiben könne. Immerhin ließen sich 20 Prozent der Frauen aus der Studie das Hormonstäbchen vorzeitig entfernen – wegen der Nebenwirkungen. Denn die Stäbchenimplantate gäben anfangs eine mehr als doppelt so hohe Dosis von Gestagen ab als die ähnlich wirkende Minipille. Erst im dritten Jahr gleiche sich die Dosis an, so Evelyn Seibert vom Verein Demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) aus Hamburg.

Das pharmakritische Berliner arznei-telegramm betont, dass weder der Wirkstoff noch das Prinzip von Hormonimplantaten neu sei. Seit 1983 gebe es Erfahrungen mit dem fünf Jahre wirkenden Implantat Norplant, einem ähnlichen Gestagenpräparat, in den USA, Finnland, England und Entwicklungsländern. Auf Grund der vielen Nebenwirkungen haben 50.000 Frauen den Pharmakonzern Wyeth-Ayerst verklagt – zwei von ihnen wegen Erblindung. „In England wurde Norplant letztes Jahr ganz vom Markt genommen“, so Wolfgang Becker-Brüser vom arznei-telegramm. Der Hersteller begründete dies mit der „schlechten Presse“ für Norplant. Das neue Implanon habe in etwa die gleichen Nebenwirkungen wie seinerzeit Norplant, unterstreicht Becker-Brüser.

Fraglich ist, ob die Frauenärzte ihre Patientinnen objektiv über die möglichen Nebenwirkungen aufklären werden – am Implantatpreis von 600 Mark verdient der Arzt rund 220 Mark.

Über die Nebenwirkungen von Norplant befragte die Universität von Helsinki 1995 über 200 Frauen. Jede fünfte Frau klagte über eine Gewichtszunahme von mehr als 10 Prozent, jede vierte über Nervosität und Gereiztheit, 21 Prozent der Frauen über Depressionen, 18 Prozent über Kopfschmerzen und besonders delikat: 16 Prozent über Libidoverlust.

1995 machte Kareen Dineen Wagner von der Universität Texas eine Studie über Depressionen bei Frauen mit Norplant-Implantaten. Die Frauen fühlten sich kraftlos, verloren ihre Selbstachtung und hatten Phasen, in denen sie viel weinten. Geringfügige Anlässe ließen sie die Fassung verlieren, so dass schwere Probleme mit Kindern und dem Partner auftraten – außerdem verloren sie ihr Interesse am Sex. Typischerweise suchten die Frauen die Schuld für die Depressionen bei sich selbst oder ihrer Umwelt, verdächtigten aber nicht das Hormonstäbchen Norplant. Als die Ärzte Norplant wieder entfernten, verschwanden bei allen Frauen die Depressionen innerhalb von ein bis zwei Monaten, und ihr sexuelles Interesse kam zurück.GOLO WILLAND