: Von Troja zu Tristan
Salzburger Festspiele: Peter Sellars inszenierte Kaija Saariahos klangschöne „L'amour de loin“
von FRIEDER REININGHAUS
Das barocke Salzburg hat sich heuer zusätzlich möbliert. Allenthalben stehen Rinder herum im Festspielbezirk. Sinnhaft und sinnlich bemalt. Die fast lebensgroßen Plastikobjekte käuen auch Kulturgeschichte wieder. Ein goldenes Kalb schreitet die Fassade vor einem Schmuckgeschäft herunter, eine Schnürl-Kuh verweist auf Salzburger Verstrickungen und die mit Rückspiegeln, Zündverteiler sowie Metallic-Lackierung versehene auf das Engagement des BMW-Händlers. Bei ihrer allzu massiven Präsenz – vielleicht handelt es sich bei den lieben Viechern ja um trojanische Kühe? Womit man bei Gérard Mortiers Stichwort zu seinem letzten Salzburger Festspielkonzept wäre: „Troja und die Liebe“.
Zum Troja-Komplex gehört Christoph Willibald Glucks „Iphigenie auf Tauris“, die in den zeltüberdachten Residenzhof gelangte. Mit überdimensionalen Puppenköpfen geistert das Atriden-Personal da durch die Szene und erinnert mit Mitteln des Kasperletheaters an das unselige Morden. Für die überragende Susan Graham, die der Staatsräson geopferte Iphigenie, bemühte der Regisseur Claus Guth noch einmal das viel verschlissene Psychiatriebett: Das Unentrinnbare gerinnt zu drastischen Chiffren. Ivor Bolten dynamisierte den einst reformatorisch gemeinten und entsprechend schlichten Tonsatz mit explosiven Crescendi und eruptivem Espressivo. Thomas Hampson wuchs in der Rolle des Orest. Philippe Rouillon aber war von Anfang an irre und groß als basswütender Thoas.
Nicht minder beglückend die Sängerbesetzung in „Così fan tutte“ bei der Annäherung an die dreiste Liebesprobe: Karita Mattila, Vesselina Kasarova, Rainer Trost und ihre gleichermaßen kompetent agierenden Partner schufen die Voraussetzung für edelsten Mozart-Genuss. Lothar Zagrosek erarbeitete mit den Wiener Philharmonikern die andere Hälfte der faszinierenden musikalischen Innenwelt, in die Lorenzo da Pontes frivoler Blick schweifte und der Mozart schwebenden Ausdruck verlieh. Die Partnertauschgeschichte wird von Hans Neuenfels psychoanalytisch ausgeleuchtet: Die singenden Personen erscheinen umstellt und bedrängt von einem überbordenden Arsenal der Fantasiegespinste und Traumfiguren, die auf unbotmäßige Begierden, Aggressionen und tief sitzende Verstörungen hinweisen.
Und um das historische (und geschichtlich belastete) Verhältnis von Abend- und Morgenland ging es zum Auftakt mit Herbert Wernickes Inszenierung der „Trojaner“ von Hector Berlioz und bei der letzten großen Opernpremiere, der Uraufführung „L'amour de loin“. Das Werk der in Frankreich lebenden Finnin Kaija Saariaho bezieht sich kontrapunktisch auf die von den Osterfestspielen übernommene Inszenierung von „Tristan und Isolde“, die zeitgleich gegeben wurde. Der französische Troubadour Jaufré Rudel, der 1147 beim zweiten Kreuzzug in Palästina ums Leben kam, regte mit seinen Gesängen an die ferne, unerreichbare Geliebte das Libretto des libanesisch-französischen Autors Amin Maalkouf an.
George Tsypin entwarf für die Inszenierung von Peter Sellars in der Felsenreitschule eine unwirkliche Installation: Zwei gläserne Minarette ragen aus einer Wasserfläche, die die ganze Bühne ausfüllt und mit einem gläsernen Nachen durchquert wird. Der eine dieser Türme beherbergt einen Aufzug, in dem der Troubadour sich aus Sehnsucht zu verzehren beginnt und vom Pilger erfährt, dass es die von ihm erträumte ideale Frau wohl wirklich gäbe. Im anderen dreht sich eine Wendeltreppe wie ein Korkenzieher; auf den Stufen sinnt Clémence, die Gräfin zu Tripoli, darüber nach, was es bedeutet, Gegenstand einer derart überhöhten Verehrung zu sein. Raffiniert bricht sich das Licht auf den Wellen und wirft Muster auf den Fels. Die in den hohen, glatten Stein gehauenen Nischen erinnern mit dem dunklen Wasser an die antiken Vorstellungen von Tartarus und Acheron. Jaufrés Überfahrt in den Orient seiner Fantasie wird wirklich zur Todesfahrt: Sterbend kommt er bei der fernen Geliebten an.
Kaija Saariaho schrieb eine Folge sehr klangschöner Orchesterlieder auf Maalkoufs und Rudels Texte. Ein feines Gespinst motivischer Arbeit zeichnet ihre ganz undramatische Musik aus – und das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg unter Leitung von Kent Nagano engagierte sich mit aller erdenklicher Aufmerksamkeit für die aufwendige und in ferne musikalische Welten ausschweifende Partitur. Im Gegensatz zu Richard Wagners „Tristan“ krankt Maalkoufs Kreuzfahrermärchen daran, dass es allzu ungebrochen das Hohelied einer reinen Liebe singt und Abgründe und Verwerfungen nicht zu kennen scheint. Schmutz und Verwerflichkeit aber machen bekanntlich die Reinheit erst so richtig schön. Und dass die „Liebe aus der Ferne“ im Zeitalter von Telefon- und Cybersex auch ein etwas aktuelleres Thema sein kann, hätte wenigstens vom Regisseur Sellars bemerkt und beherzigt werden dürfen. Doch Saariahos Oper liegt im Trend: zurück zu ungetrübt genießbaren Schönheiten.
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