Zielkonflikt an der Heimatfront

Ausländerpolitik und rechte Gewalt haben sich lange gegenseitig bedingt. Doch zur nun herrschenden Globalisierungsideologie passen keine Blut-und-Boden-Standparolen

Wer rechts den Boden entziehen will, muss für einen grundlegenden gesellschaftlichen Klimawechsel kämpfen

Im Sommer 2000 steht die antifaschistische Einheitsfront der Demokraten und zeigt Flagge. Bayerns Innenminister Beckstein, gelernter Verharmloser rechter Gewalt, macht sich plötzlich für ein NPD-Verbot stark, Ex-K-Grüppler Jürgen Trittin folgt postwendend. Edmund Stoiber, bisher vornehmlich als Gegner einer „durchrassten Gesellschaft“ aufgefallen, fordert unisono mit dem ehemaligen RAF-Anwalt und heutigem Chefasylantenjäger Otto Schily von den Bürgern Zivilcourage im Kampf gegen den rechten Terror.

Ist die Politik mit vielen Jahren Verzögerung doch noch aufgewacht, oder ist das alles nur billiges Sommertheater? Weder noch. So wenig die neue Besorgtheit auf ein Paulus-Erlebnis zurückgeht, so verweist sie doch auf ein durchaus tiefer gehendes Problem. Die Ausländerpolitik ist in einen Zielkonflikt geraten.

In den 90er-Jahren hatte sie sich strikt am Motto „Das Boot ist voll“ orientiert und dementsprechend eine rigide Abschreckungsstrategie gegenüber Immigranten und Flüchtlingen verfolgt. Neben diese Botschaft ist mittlerweile aber eine zweite getreten: Der „Deutschland-Achter“ benötigt eine gezielte Auffrischung seiner Mannschaft. Beide Motive kommen einander nun ins Gehege. Es ist noch offen, ob und wie sie sich austarieren lassen. Dass es dabei nicht um Menschlichkeit geht, sondern um geeignete Formen der Selektion von verwertbarem und unverwertbarem Menschenmaterial, ist dagegen keine Frage.

Als zu Beginn der 90er-Jahre die erste große Welle neonazistischer Anschläge über das wieder vereinigte Deutschland schwappte, hielt die offizielle Empörung nicht lange vor. Sehr schnell bürgerte sich in der „Ausländerfrage“ eine ebenso diskrete wie perfide Form nationaler Arbeitsteilung ein. Die rechten Schläger übernahmen den Part, den der demokratische Staat ohne nachhaltigen Gesichtsverlust schlecht selber spielen konnte: Sie verbreiteten Angst und Schrecken unter den unerwünschten Zuwanderern – und nährten so deren Bedürfnis, das ungastliche Land zu verlassen.

Die offizielle Politik ihrerseits distanzierte sich demonstrativ von den Methoden der „Einzeltäter“ – um dann rücksichtslos ihre eigenen Folterwerkzeuge, Gesetzgebung und Verwaltungsrichtlinien, für das gemeinsame Ziel in Anwendung zu bringen. Selbst die De-facto-Abschaffung des Asylrechts wurde mit der Notwendigkeit begründet, den rechten Gewalttätern das Wasser abzugraben. Die CDU/CSU stellte sich offen und die SPD kaum dezenter auf den ebenso perversen wie zwingenden Standpunkt, dass Menschen, die sich nicht im Land befinden, schwerlich auf deutschen Straßen zu Tode geprügelt werden können.

Die Opfer des Rassismus implizit zu dessen Ursache und Mitschuldigen zu machen, lief nicht nur darauf hinaus, dumpfe nationalistische Ressentiments den Gesetzen der Stimmungsdemokratie entsprechend zu exekutieren. Die Parteien schufen so auch ein gesellschaftliches Klima, in dem es den rechten (Tot-)Schlägern möglich war, ihr Tun als Ausdruck des Volkswillens zu empfinden. Die zunehmende Abstumpfung der Öffentlichkeit gegenüber den alltäglichen Übergriffen war angetan, diesen Eindruck zu bestätigen.

Die Politik hat über Jahre in friedlicher Koexistenz mit der rechten Gewalt gelebt. Indes: Das undifferenzierte Vorgehen der Neonazis gefährdet mittlerweile die stille Übereinkunft. Die schrödersche Modernisierungs- und Standortgemeinschaft weiß zwischen nützlichen und unnützen Ausländern zu unterscheiden. Mit einiger Verzögerung hat auch die Opposition nach ihren schlechten Erfahrungen mit der „Doppelpasskampagne“ einsehen müssen, dass ein strikter Blut-und-Boden-Standpunkt nicht so recht zur momentan herrschenden Globalisierungsideologie passen will.

Vor dem Baseballschläger aber sind alle Nichtarier gleich – auch wenn sie sich für gewöhnlich nicht in gleicher Reichweite befinden. Dass Deutschlands Image in den Augen indischer Software-Spezialisten, japanischer Investoren und nigerianischer Fußballprofis unter der rechten Gewalt leiden könnte, galt in den Jahren der „Stagnation“ unter Kohl vielleicht noch als eine vernachlässigbare Randstörung; in der heutigen Aufbruchshysterie reagiert man dagegen fast schon phobisch.

Nun fehlt auch den besoldeten Repressionsorganen oft noch das mittlerweile nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit erwünschtem Zuzug. Umworbene „Spitzenkräfte“ und ihre Familien werden von Ausländerbehörden und Polizei immer wieder versehentlich wie „unnütze Ausländer“ behandelt. Da lässt sich sicher noch das eine oder andere verbessern – aber bei den ausgegliederten Schlägertruppen sieht das anders aus. Selbst das Eintätowieren der Green Card im Unterarm der Berechtigten dürfte die Faschos kaum dazu bewegen, ihren Hass nach den Kriterien und in den Formen auszuagieren, die einem auf den Erfolg im transnationalen Wettbewerb fixierten neosozialdemokratischen Staat recht wären.

Die Generalmobilmachung geballter demokratischer Wohlanständigkeit gegen die rechte Gewalt wird nicht weit tragen. Im Ansatz läuft sie bereits ins Leere. In der offiziellen Empörung selber schwingt Menschenverachtung mit. Dieser „Antifaschismus“ kann weder in eine Gegenströmung einmünden noch das neonazistische Spektrum sonderlich beeindrucken.

Die Verteidiger der deutschen Standortnormalität und die Neonazis vertreten letztlich verwandte Haltungen

Die Verteidiger der Standortnormalität und die Neonazis vertreten letztlich verwandte Haltungen. Auch wo ihre Arbeitsteilung problematisch wird und sie in Konflikt miteinander geraten, bedingen und legitimieren sich ihre Positionen gegenseitig. Der Neonazismus vereint in sich den Protest gegen die warengesellschaftliche Normalität mit brutalisiertem Konformismus gegenüber den Grundwerten der totalen Arbeits- und Konkurrenzgesellschaft.

Der Anschluss an die Verfolgerkollektive öffnet den „Kameraden“ eine Welt jenseits einer Existenz als isoliertes, hoch flexibles Geld- und Warensubjekt. Die Erniedrigung der „Minderwertigen“ weist zugleich aber den eigenen „Wert“ und die eigene gesteigerte existenzielle Konkurrenzfähigkeit nach. Die rechte Gewaltkultur teilt die bundesdeutsche Gesellschaft in Objekte (die Opfer der Gewalt), „Weicheier“ und in die wahre, sich eigene Gesetze schaffende „nationale Elite“. Begegnet dem Neonazismus statt Toleranz und Indolenz auf Kosten der Opfer verstärkt demokratische Bigotterie, so steigert das Protest und elitären Anspruch auf Kosten des konformistischen Moments.

Wer ernsthaft der rechten Gewalt den Boden entziehen will, müsste schon für einen grundlegenden gesellschaftlichen Klimawechsel kämpfen – nicht bloß für Ruhe an der Heimatfront im Globalisierungskampf. Solange es in Deutschland Konsens ist, dass Menschen, um sich einen Platz in dieser Gesellschaft zu erobern, ihre Nützlichkeit und Verwertbarkeit unter Beweis stellen müssen, wird es auch eine völkische Interpretation von „wertvollen“ und „unwerten“ Existenzen geben. Und auch genug derer, die es nicht mit Worten bewenden lassen. ERNST LOHOFF