Gores Vize Liebermann sorgt für die Witze – und das Pathos

Wie Gore gilt auch der Vizepräsidentschaftskandidat nicht als begnadeter Kommunikator. Doch mit seiner Rede auf dem Konvent zog sich mit Bravour aus der Affäre

BERLIN taz ■ Als ob er noch nicht genug Besonderheiten auf sich vereinigen würde: Die US-amerikanischen Medien, immer auf der Suche nach Superlativen, erklärten Joseph Lieberman gestern zum „ersten Vizepräsidentschaftskandidaten in der Geschichte der USA, der seine Parteitagsrede mit einem Schwiegermutterwitz beginnt“. Der Witz war so gut nicht: „Ein altes Sprichwort besagt: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine überraschte Schwiegermutter. Ich bin heute hier, um euch zu sagen: Es stimmt.“ Das Protokoll vermerkt Gelächter.

Tatsächlich hat Lieberman seinen Parteitagsauftritt mit Bravour absolviert. Seine Rede hatte alles, was eine Parteitagsrede braucht: Witz, Engagement, Pathos, eine hinreichende Menge Elogen auf den Präsidentschaftskandidaten und dessen unendliche Weisheit, ihn selbst als Vize ausgewählt zu haben.

Schließlich war es das, was die Delegierten hören wollten und die Medien erwarteten. Die Schablone war klar: Lieberman, der erste jüdische Vizepräsidentschaftskandidat, wird just an jener Stelle gekürt, an der John F. Kennedy 1960 als erster katholischer Präsidentschaftskandidat nominiert wurde. Und wenn der republikanische Kandidat George Bush bei seiner Rede vor knapp zwei Wochen an die Verdienste eines Martin Luther King erinnerte, kann Lieberman hinzufügen, dass er selbst dabei war, als der 1963 zum Marsch auf Washington antrat, und auch später, als es gegen den republikanischen Widerstand darum ging, Schwarze in die Wahlregister zu bringen.

Lieberman ist glaubwürdig in dem, wofür er einsteht – und jeder Afroamerikaner oder Hispanic versteht genau, was Lieberman meint, wenn er sagt: „Jedesmal wenn eine Schranke niedergerissen ist, vergrößern sich die Chancen für jeden von uns.“ Das fügt sich in die Projektion des „anderen Amerika“, die auch Al Gore in seinem Wahlkampf wieder hat aufleben lassen – und ist direkt auf die demokratische Stammwählerschaft gerichtet. Al Gore selbst hatte die Aufgabe noch vor sich, die sozialpolitischen Akzente zu parieren, die George Bush in seiner Rede in Philadelphia gesetzt hatte, da gab Lieberman die Marschroute vor: „Vor zwei Wochen haben die Republikaner versucht, so zu reden und voranzuschreiten wie wir. Wir mögen ja heute in der Nähe Hollywoods sein, aber niemals, seit Tom Hanks den Oskar gewonnen hat, ist in Philadelphia so viel geschauspielert worden.“

BERND PICKERT