Andere Feministinnen

Wie emanzipiert sind die Frauen auf dem Land wirklich?Ist die Provinz tatsächlich ein Hort frauenpolitischer Rückständigkeit? Gespräche und Meinungen aus den nichtstädtischen Teilen der Republik

von MARIANNE MÖSLE

„Nirgends sind die Frauen so emanzipiert wie in der Landwirtschaft“, behauptet Elfriede Diebold vom schwäbischen Erlenhof bei Reutlingen. Wer meint, auf dem Land herrsche purer Konservatismus, der wird von der 62-jährigen Hauswirtschaftsmeisterin und Kreisvorsitzenden des Landfrauenverbands eines Besseren belehrt. „Wenn Frauen einen Traktor unterm Hintern haben, sind sie gleichberechtigt“, sagt sie. Die Landfrau habe einen Beruf, die Arbeit von Bäuerin und Bauer müsse immer Hand in Hand gehen.

Helga Huber vom Tübinger Institut für frauenpolitische Sozialforschung hat da ihre Zweifel. „Was immer schon so war, das können die Landfrauen jetzt nicht unbedingt als wahnsinnig emanzipiert verkaufen.“ Die Diplompädagogin, die ihre Studien auf dem Land betrieben hat, räumt aber ein, dass in der langen Geschichte der Frauenbewegung sich auch in den traditionell konservativen Bereichen einiges getan hat.

Relativ unspektakulär haben sich die Verhältnisse außerhalb der Städte geändert, ohne die großen linken Parolen und Pamphlete, aber handfest, orientiert am Alltag der Frau. Ob katholischer Frauenverband, Landfrauenverband oder Mütterzentren: Überall wurde in den vergangenen Jahren über frauenpolitische Ziele wie Schwangerschaftsabbruch, Frauenhäuser, sexuelle Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen, über Eherecht und Rentenansprüche, über Geschlechterhierarchien und neue Frauenrolle diskutiert.

Meist waren es zugezogene Frauen, die die feministischen Mainstreamthemen ins eher konservative Milieu trugen. Nicht ohne Erfolg: Mit dem Ziel, eine politische Eigenmacht zu konstituieren, haben zum Beispiel Anfang der Neunzigerjahre oberschwäbische Frauen in einer Ausstellung mit Skulpturen und Bildern öffentlich Stellung zum Golfkrieg bezogen.

Neue Anlaufstellen, Beratungszentren und Fortbildungsprogramme für Frauen sind entstanden, Frauenkreise und Frauenstammtische haben sich gebildet. In jeder kleineren und größeren Gemeinde wurden Mütterzentren eingerichtet. In Eigeninitiative und von außen oft belächelt. Dass Mütter sich zusammentun, um sich auszutauschen, um sich gemeinsam fortzubilden, politisch zu engagieren und in die Lokalpolitik einzumischen, war vor zehn Jahren noch ein Novum.

Heute kommt kein Gemeinderat mehr an ihnen vorbei. Bei der Verkehrs- wie bei Kindergartenplanungen werden die organisierten Mütter um Rat gefragt. Der Verein lädt Bürgermeister und Bundestagsabgeordnete zum Gespräch. „Jetzt besucht uns sogar die CDU“, sagt Renate Butt vom basisdemokratisch organisierten Mütterzentrum „Müze“ in Mössingen.

„Es gibt große Ähnlichkeiten zwischen der traditionellen Frauenbewegung in Städten und an Universitäten und der Frauenbewegung auf dem Land und der Kirche“, resümiert die frauenpolitische Sozialforscherin Helga Huber, die sich selbst als „alte Feministin“ tituliert. „Die Umsetzung der frauenpolitischen Ziele ist aber überall schwierig.“ Auf dem Land und in der Kirche stehen die Frauen mehr unter Kontrolle, und wenn diese Frauen etwas Neues machen, müssen sie sich erklären. In der Stadt und an der Hochschule kann sich eine Frau in einer Frauengruppe mit spektakulären Thesen engagieren. Land- und Kirchenfrauen leben anders, öffentlicher und in traditionelle Strukturen stärker eingebunden. Huber: „Da wird die Langsamkeit der Umsetzung unserer Ziele umso deutlicher.“

Was hat sich nun eigentlich konkret in den vergangenen dreißig Jahren in den eher konservativ orientierten Verbänden der Landfrauen, der evangelischen und der katholischen Kirche verändert? Am aufschlussreichsten erweist sich da ein Blick in die Fortbildungs- und Veranstaltungsprogramme. „Früher haben wir hier keine Tagesmütter gebraucht“, sagt Kreisbäuerin Elfriede Diebold. „Heute verdient sich manche Frau ein Taschengeld dazu, indem sie sich um die Kinder der Nachbarsfamilien kümmert.“ Ausbildungskurse für Tagesmütter gehören deshalb zum Pflichtprogramm im Landfrauenverband.

Auch bei anderen Alltagsproblemen ist der Verband seit Jahren eine Anlaufstelle für Rat und Hilfe. In Seminaren zu Erb- und Familienrecht, zu Hofübergabe und eheähnlichen Lebensgemeinschaften, in Computer- oder Heilpraktikerseminaren bilden sich die Landfrauen fort und machen erste Schritte in die Eigenständigkeit.

Kreisbäuerin Elfriede Diebold schloss sich dem Landfrauenverband, dem ältesten und größten Frauenverband Deutschlands, erst mit über vierzig Jahren an. „Aber ohne die Unterstützung meines Mannes hätte ich mich nicht so engagieren können.“ Ihr Selbstbewusstsein wuchs, mit 48 Jahren hat sie ihre Meisterprüfung in ländlicher Hauswirtschaft gemacht. „Ich wollte mehr aus mir machen“, erzählt sie, „nicht nur Bücken und Säen.“ Jetzt setze sie sich „hauptberuflich“ für die Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen Situtation der Landfrau ein, kämpft für die Anerkennung der Arbeit in Haushalt und Familie und verhandelt im Ministerum um soziokulturelle Projekte.

Im Grunde ist Elfriede Diebold eine Nachfahrin der Verbandsgründerin Elisabeth Böhm, die vor knapp hundert Jahren ihren Mann zur Rede gestellt hatte: „Wir sprechen über die Löhne von Knechten und Mägden, aber wie hältst du’s mit meiner Arbeit?“ Weil der nicht reagierte, machte die unerschrockene Bäuerin eine Direktvermarktung mit Eiern und Milch auf und verdiente fortan ihr eigenes Geld.

Ein fataler Weg, urteilt die Deutsche Hausfrauengewerkschaft, denn damit habe sie sich – wie auch Elfriede Siebold – nur mehr Arbeit aufgehalst. „Die bisherige Emanzipation ist gar keine. Sie hat nur dazu geführt, dass Frauen eine Achtzigstundenwoche haben und ihre weibliche Arbeit, Mutterschaft und Kinderkriegen, verleugnen müssen.“

Ein womöglich zutreffende Kritik. Dennoch beharrt Kirchenfrau Marlene Scheurer zum Beispiel darauf, dass Fortschritte erzielt worden seien. Der 54-Jährigen, die die ältere Frauengeneration des Tübinger Zweigvereins des Katholischen Frauenbunds beim Nachmittagskaffee betreut, fallen spontan gleich mehrere frauenpolitische Fortschritte der jüngsten Zeit ein. „Sogar bei uns“, sagt sie nicht ohne Stolz, „hat sich einiges verändert.“ Nichts Weltbewegendes, nur kleine Schritte auf dem Weg in die Emanzipation. Die starre Sitzordnung beim allwöchentlichen Treff beispielsweise sei aufgelöst worden, und den Platz des Pfarrers hat eine Pastoralreferentin eingenommen. Außerdem kommen heute die Frauen des Katholischen Frauenbunds aus allen Schichten, nicht mehr ausschließlich aus Professoren- und Beamtenfamilien wie früher.

Ebenso wie bei den Landfrauen haben sich sowohl beim Katholischen wie auch beim Evangelischen Frauenbund die Themen der Fortbildungskurse und Seminare stark verändert. Basteln sei, abgesehen von ein paar Weihnachtsdingen, völlig out. Dafür treffen sich die Frauen zu Vorträgen über Fooddesign, Gentechnologie oder zum Thema „Beziehungen brauchen Trennung“. Seminare zu Hauswirtschaft und Kindererziehung, wie sie der vor achtzig Jahren gegründete Verband traditionell anzubieten wusste, sind rar.

Zu den Neuerungen der kirchlichen Verbände gehört auch die Einrichtung des so genannten Frauenforums vor rund fünfzehn Jahren. „Hier lassen wir’s uns einfach gut gehen“ lautet dessen Credo – bei Tanz und kreativem Malen. Aber für einen Zeitungsbericht, für die Öffentlichkeit sei ein solches Forum nicht der rechte Ort. „Zu intim, zu persönlich“, wird abgewunken. Trotz aller Emanzipation ist die Welt der Frau größtenteils eine Welt unter Ausschluss der Öffentlichkeit geblieben.

Nur die ehemalige Erzieherin vom Katholischen Frauenbund, Marlene Scheurer, nimmt kein Blatt vor den Mund. Vor über 25 Jahren schloss sie sich dieser Organisation an. Weil sie jung, verheiratet und zugezogen war, Kontakte knüpfen und frauenpolitische Diskussionen führen wollte. Das Engagement habe ihr genauso wie anderen Frauen Stärke und Selbstwertgefühl gegeben, sagt sie rückblickend. Vor allem in der Zeit, als sie ihren Beruf aufgab, um ihre Schwiegermutter zu pflegen und zwei Pflegekinder zu erziehen. Und noch heute, wo sie tagtäglich ihre an Alzheimer erkrankte Mutter betreut.

Als damals heftig über die Schwangerschaftsberatung bei der Kirche gestritten wurde, hielt die resolute Frau mit ihrer Meinung nicht zurück: „Wenn’s hier für schwangere Frauen keine Hilfe geben würde“, so hat sie es damals gesagt, „würde ich nicht dabei bleiben.“ Ähnlich denkt sie noch immer. Über die in den vergangenen Monaten wegen des Papstedikts neu entfachte Debatte um die Schwangerschaftsberatung ist sie alles andere als begeistert. „Dass eine Frau abtreibt, kann ich gut verstehen“, meint Marlene Scheurer. Und regt sich über das Verbot der Pille, die Nichtanerkennung der Scheidung und der eheähnlichen Lebensgemeinschaften auf. „Ich sag immer, der Papst ist weit weg.“

Auch vom realen Leben. Weil die Haltung der katholischen Kirche ihrer Meinung nach in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit der gläubigen Frauen steht. Sogar im Katholischen Frauenbund trennen sich Frauen, leben unverheiratet mit ihrem Freund zusammen.

„Wir Frauen dürfen uns nicht mehr verstecken. Das ist ganz recht, dass über uns geschrieben und berichtet wird“, sagt Landfrau Diebold in einem Nebensatz. Vielleicht helfe das gegen die schwindenden Mitgliederzahlen im Landfrauenverband und bei den Kirchenfrauen. Denn die jungen Frauen fehlen.

„Unsere Töchter setzen sich politisch gesehen von uns ab“, lautet die Erfahrung der Fachfrau für frauenpolitische Veränderungen, Helga Huber. „Deshalb sagen viele, die Frauenbewegung ist tot. Ich sage dagegen, die jungen Frauen versuchen, sich im Lebensalltag durchzusetzen, setzen durch, was wir hart erkämpft haben.“

MARIANNE MÖSLE, 39, arbeitet als freie Autorin in Tübingen. Meist schreibt sie Reportagen und Berichte über sozialpolitische Themen