Windige Debatten

Sind Windkraftanlagen umweltverträglich? Darüber diskutieren Naturschützer derzeit erregt: Verspargelung der Landschaft und Gefahr für Vögel werden gegen die sanfte Energiegewinnung ins Feld geführt. Verschiedene Studien widersprechen einander, die Verwirrung ist groß

von HOLGER KLEMM

Bekannt geworden durch den Kampf gegen Windanlagen ist bisher nur einer: Don Quijote von La Mancha. Der Ritter von der traurigen Gestalt steht nicht mehr allein. Die Grüne Liga veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe der Zeitung Rabe Ralf ein Interview mit dem renommierten Wissenschaftler Michael Succow, der sich nachdrücklich gegen den „Fluch“ von Windkraftanlagen in ökologisch wertvollen Gebieten ausspricht. Er ist Professor für Biologie an der Universität Greifswald, Initiator des ostdeutschen Nationalparkprogramms, Nabu-Vizepräsident und Träger des Alternativen Nobelpreises. Ein Mann, an dessen Aussage so schnell keiner vorbeikommt – und mancher auch gar nicht vorbei will.

Was ist los in der Umweltszene? Hackt dort jetzt ein Rabe dem anderen ein Auge aus? Da ist von Verspargelung der Landschaft die Rede. Succow fordert windkraftanlagenfreie Räume. Ein dubioser „Bundesverband Landschaftsschutz“ mit nicht ganz klarer Abgrenzung zur Atomindustrie gibt Bürgerinitiativen gegen die Errichtung neuer Anlagen willig Schützenhilfe. Und selbst die Bundeswehr klagt in Ostfriesland dagegen. Ihre Radargeräte finden die Windräder irritierend. Ist auf einmal Pustekuchen mit Windkraft? In der Bundesgeschäftsstelle des Nabu vertritt man eine deutlich positivere Einstellung als der Vizepräsident. „Succow bezieht sich auf einige ostdeutsche Gebiete, wo der Naturschutz nicht ausreichend beachtet wurde“, betont Frank Musiol als Referent Energiepolitik. Aber „prinzipiell ist Wind eine Energiequelle der Zukunft.“ Und schließlich gibt es Gesetze, die Vogelarten und Anwohner schützen. Gesetze, die „in Brandenburg weit über die Regelungen anderer Bundesländer hinausgehen“, wie Referent Andreas Piela im Ministerium betont.

Gegenwärtig werden rund zwei Prozent des Stromverbrauchs durch Wind erzeugt. „Zehn bis zwanzig Prozent können aufgenommen werden“, schätzt Musiol. Brandenburg liegt im Bundesschnitt. Konkret heißt das: 232 Anlagen, die insgesamt 215 Megawatt erzeugen.

Sind das 232 Anlagen zu viel? Was helfen Gesetze, wenn sich Anwohner subjektiv von der raumgreifenden Technik in der Nachbarschaft gestört fühlen? Was besagen Vogelschutzbestimmungen, wenn es an langfristigen Untersuchungen zum Vogelverhalten fehlt? Unterschiedlichste schlagende Thesen werden gegen die Windanlagen ins Feld geführt. Die einen sind dagegen, weil die Rotoren angeblich die Vögel in einen Sog ziehen und erschlagen. Andere wettern, weil die Rotoren wie Vogelscheuchen wirken würden, wodurch das Federvieh in die Flucht geschlagen und von den angestammten Brutplätzen vertrieben wird. Wie die Brille, so die Sicht – Untersuchungen belegen je nach Methode die eine oder andere These. Die Vögel scheint der Streit nicht zu stören. Mancher Turmfalke wurde schon beim Nisten am Windturm beobachtet.

In der als Vauk-Studie bekannten Untersuchung auf Helgoland wurden in knapp eineinhalb Jahren ganze zwölf tote Vögel gefunden. Davon gehen aber acht auf das Konto des Windmessmastes, der neben den Anlagen stand. Das Oldenburger ARSU-Institut publiziert gerade eine Studie, nach der auch Bienenvogelarten wie Kibitze weniger als bisher angenommen von den Rotoren gestört werden. Dadurch bestätigen sich Dr. Jürgen Kaatz' Forschungsergebnisse im brandenburgischen Windfeld Nackel. Nach einer ersten Verunsicherung kehren Kleinvögel häufig an ihre angestammten Brutplätze zurück.

Sorgen bereiten die großen: Großtrappen, Kraniche, Gänse und Weißstörche. Deren Einzugsgebiete – also Rast-, Schlaf- und Brutplätze sowie Flugkorridore – müssen „sehr, sehr sensibel gehandhabt werden“, unterstreicht Kaatz. Für viele Arten sei noch viel zu wenig bekannt. „Gerade hinsichtlich der Langzeitwirkung auf die Avifauna sehe ich für die Forschung einen ungeheuren Nachholbedarf.“ Denn kurzzeitige Prä-Post-Untersuchungen sagen wenig aus. Auch wenn es sich zeige, dass sich in Mecklenburg verschiedene Arten rar machten, „würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, das Verschwinden der Arten auf unmittelbaren Einfluss der Windkraftanlagen zurückzuführen“, dämpft Kaatz die übereifrige Interpretation durch Windkraftgegner. Die Befürworter der Windenergie reagieren auch auf die bestehende Kritik von Anwohnern. Das neue Schlagwort heißt „offshore“. Gemeint sind Anlagen im Meer, die bis zu 30 Kilometer von der Küste entfernt sind. Damit die Sonne für den Betrachter wirklich noch im Meer untergeht – und nicht zwischen rotierenden Windanlagen. Dadurch sollen nicht nur, wie von der Bundesregierung anvisiert, 20 Prozent der Energie erzeugt werden können, sondern bis zu 60 Prozent. Doch das ist in Deutschland noch Zukunftsmusik.