Gläserscheppern

■ Bach mit Fremdgeräuschen im Michel

Es war ein surreales Erlebnis der besonderen Art: Nicht nur, dass sich getümmelartige Szenen um die Sitzplätze abspielten; während der ersten Konzerthälfte machte irgendjemand im Hintergrund immer wieder durch nervtötendes Knis-tern auf sich aufmerksam: Zur Freitag-Nacht-Musik hatte die Hauptkirche St. Michaelis geladen, hatte Wiebke Bohnsack (Flöte) und Uta Jungwirth (Harfe) in das Gewölbe des Hauses geholt, um ein leicht bekömmliches Programm zu bieten: Bach, Mozart, Ravel waren zu hören, das meiste von mittlerem Schwierigkeitsgrad. Aber vielleicht war das ganz gut so, schienen doch etliche ZuhörerInnen eher des Pausenbuffets wegen gekommen zu sein und das letzte Drittel des Konzerts zu verdösen.

Mit leicht getupften Tönen begann Wiebke Bohnsack, Solo-Flötistin im Hamburger Sinfonieorchester, die Bachsche Sonate in g-Moll; fließendes Portato folgte auf perlende Läufe. Mit fein modellierten Liegetönen erzählte die Flöte im Adagio eine meditative Geschichte, die durch gedehnte Vorhalte immer wieder ins Stocken geriet – eine von Bach geschickt eingesetzte Verzögerung vor dem Allegro, in dem die Harfe so stark anzog, dass die Flöte in erschrecktes Hetzen verfiel.

Mit enormem Gestaltungswillen ging Bohnsack dagegen die Bach-Sonate in a-Moll für Flöte solo an, in der sie die Fama vom mathematischen Bach schärfstens widerlegte: Zu fast asymmetrischen Läufen gestaltete sie die Tonfolgen; in großzügigen Phrasierungsbögen schwangen auch die Sequenzen des zweiten Satzes, als habe jemand ein Mobile angetippt, das mit immer neu überraschenden Bewegungen langsam zurück ins Gleichgewicht pendelt.

Und dass in ein solches Konzert Mozart gehört, versteht sich von selbst, und so arbeitete sich die Flötistin federnd durch die Sonate C-Dur, immer wieder unterbrochen vom Klirren zerspringenden Glases, weit hinten im Michelsgewölbe, diesmal erzeugt durch irgendjemandes Spülbemühungen.

Kühl und fragil klang – wie es sich gehört – dann die Pavane von Ravel, in der die Flötistin den Tönen durch bewusst zurückhaltenden Vibrato-Einsatz das Volumen nahm, um einem Phänomen nachzuspüren, das auch die Maler jener Zeit bewegte: nur einen Ausschnitt der durch Licht und Schatten geprägten Realität zu zeigen, die Oberfläche der Gegenstände nur anzudeuten, um das Publikum zum intensiveren Studium von Nuancen zu verleiten und – vielleicht – zu einer neuen Sicht auf die dahinter liegende Welt. Petra Schellen