iris radisch, sigrid löffler etc.
: „Literarisches Quartett“ mit Aufwallungspotenzial

Getoppter Vernichtungswille

Immer heikel: in einer Serie eine der Hauptfiguren auszutauschen. Im schlimmsten Fall sind irgendwelche plötzlichen Tode zu beklagen, und die neue Figur taucht als lange verloren geglaubte Tochter auf. Nicht schön. Viel heikler aber ist es noch, den Moment der Irritation zu überwinden, der sich beim Zuschauer einstellt. Schließlich bricht in solchen Fällen die schnöde Realität – gescheiterte Gehaltsverhandlungen, Karrieresprünge, Streitereien – ins Serielle ein; und wie wir medientheoretisch aufgeklärte User wissen, ist das Letzte, was man in einer Serie goutieren würde, die Realität. Dafür hockt man sich nicht zur angestammten Sendezeit aufs Sofa.

Für die Serienmacher gibt es zwei Möglichkeiten, mit der unvermeidlichen Irritation umzugehen. Entweder sie bereiten die Zuschauer schonend darauf vor wie kürzlich beim Weggang George Clooneys von „Emergency Room“. Oder aber sie gehen nach der Devise „kurz und schmerzlos“ vor. Für diese Strategie entschied man sich nun also beim „Literarischen Quartett“: kurze Eloge (die in ihrer Struktur verdächtig einer Trauerrede glich) von Marcel Reich-Ranicki an Sigrid Löffler, und dann mitten hinein ins Sprechen über die Bücher. Im Grunde gab es ja auch gar keine andere Wahl. Obwohl: Irgendwie wäre es doch sehr hübsch gewesen, hätten die Herren Reich-Ranicki und Karasek versucht, ihre Beziehung zu Frau Löffler in irgendeiner Weise fernsehtauglich aufzuarbeiten. Einen wunderbar peinlichen Moment, an den man sich lange erinnert, hätte das geben können.

Wer die Sendung vom Freitag nur aus literarischen Interessen sah, mag unsereinen, der das natürlich auch aus Skandalerwartungen tat, einen Banausen nennen; er sollte aber mit Skepsis rechnen. Der Unterhaltungswert der Sendung lag eben schon immer in der Art und Weise, wie die drei Protagonisten plus Gast miteinander agierten. Da verschiebt sich mit dem Wechsel von Sigrid Löffler zu Iris Radisch nun einiges. Denn von den letzten beiden Sendungen abgesehen hatten die Debatten mit Sigrid Löffler etwas sehr Kultiviertes. Ihre Rolle bestand darin, die Ausbrüche Reich-Ranickis mit zurückgelehnten Anmerkungen zu kontern. Das aber ist eine Rolle, die Radisch bestimmt nicht spielen wird.

Bei ihrem Debüt als Dritte im Bunde brachte sie etwas Ungeschliffenes, etwas Wildes hinein, raufte sich die Haare, fiel den anderen in die Parade; es will schon etwas heißen, dass Elke Heidenreich als Gast im Kontrast dazu geradezu besonnen wirkte. Mit Iris Radisch hat das Aufwallungs- und Hysterisierungspotenzial des Personals einen bedeutenden Auftrieb erhalten.

Das zeigte sich vor allem, als von Michael Kumpfmüllers Buch „Hampels Fluchten“ die Rede war – der interessanteste Abschnitt der Sendung, und zwar im Wesentlichen dadurch, dass Iris Radisch es sogar verstand, Reich-Ranickis abschätzigen Vernichtungswillen diesem Roman gegenüber noch zu toppen: Sie hat – mit allem Respekt gesagt – in ihrem Minenspiel unbedingt das Zeug zu einer griechischen Tragödin.

Arno Widmann, der die Sendung für das Online-Feuilleton www.perlentaucher.de rezensierte, merkt an: „Das bedeutet, dass wir es in Zukunft mit zwei Hysterikern zu tun haben werden.“ Und: „Eines ist sicher: Hellmuth Karasek wird in der Versenkung verschwinden.“ Da sind wir nicht so sicher. Mag zwar sein, dass er in dem Wortgewitter, das Reich-Ranicki und Radisch entfesseln können, hilflos dasitzt. Er hat aber auch die Chance, sich als ruhiger Pol der Sendung neu zu profilieren, und das ist doch etwas wirklich Überraschendes.

Ach ja, etwas fehlt noch: die Literatur. In dieser Hinsicht hat sich nicht viel geändert. Natürlich ist es weiterhin fragwürdig, die Komplexität der Literatur im lautsprecherischenTalkshow-Ambiente zu verhandeln. Manchmal wird dennoch etwas Gutes dabei herauskommen und manchmal eben nicht. Aber das galt vorher ja auch schon. DIRK KNIPPHALS