Alle Rettung kommt zu spät

Am gesunkenen russischen Atom-U-Boot „Kursk“ haben Bergungsversuche offenbar nur noch Alibicharakter. Westliche Taucher finden verbogene Luke. Spekulationen über Unglücksverlauf

BERLIN taz/dpa ■ Die gesamte Mannschaft der „Kursk“ ist vermutlich tot. So schätzte die russiche Marine die Lage des im Nordmeer vor Murmansk gesunkenen U-Boots seit Samstag ein. Ab Sonntagvormittag wurden norwegische Extremtaucher über 100 Meter tief zum Wrack abgelassen. Doch offizielle russische Stellen rechnen nicht mehr damit, dass noch jemand an Bord überlebt haben könnte.

Der stellvertretende russische Premierminister Ilja Klebanow sprach am Wochenende von einem „fürchterlichen Loch“ auf der Steuerbordseite der „Kursk“, dort, wo sich etwa die Hälfte der Mannschaft zum Zeitpunkt der Katastrophe aufhielt. Auch der Kommandobereich ist demnach sofort nach der Explosion überflutet worden. Retten konnten sich höchstens noch Matrosen im hinteren Bereich des Schiffs; dort liegen die Reaktoren und der Antriebsbereich des U-Boots (Bauplan unter www.fas.org).

Mit einem letzten Funken Hoffnung sind trotz geringer Aussichten westliche Retter am Sonntag zu den tot geglaubten 118 Seeleuten im Atom-U-Boot „Kursk“ hinabgetaucht. Tieftaucher versuchten, die Rettungsluke des in 100 Meter Tiefe liegenden Wracks zu öffnen. Sie konnten den schweren Metalldeckel aber zunächst nicht heben, berichtete der staatliche russische Fernsehsender RTR.

Weil aus der Ausstiegskammer der „Kursk“ beim Anheben der Luke keine Luftblasen aufstiegen, vermuteten die Taucher nach RTR-Angaben, dass dort einer oder mehrere tote Seeleute sein könnten. Sie hätten vermutlich die Schleusenkammer mit Wasser gefüllt, um auszusteigen und an die Oberfläche aufzutauchen. Die Taucher hätten festgestellt, dass die Luke bereits von innen aufgeschraubt gewesen sei, sagte RTR-Reporter Arkadi Mamontow von Bord des russischen Kreuzers „Pjotr Weliki“.

Trotz eines großen Sicherheitsrisikos wollten die Taucher versuchen, ins Innere der „Kursk“ vorzudringen. Wie Klebanow erklärte, sollte auch versucht werden, die klemmende Luke mit Hilfe eines Krans des Spezialschiffs „Seaway Eagle“ loszureißen.

Erste Videobilder vom Boot zeigten einen Riss im Metallring um die hintere Rettungsluke. Deswegen hatten russische Rettungskapseln von Anfang an keine Chance, an die „Kursk“ anzudocken. Als sie versuchten, den Schleusenbereich leer zu pumpen, strömte immer wieder Wasser nach. Daraus schlossen sie, dass auch der hintere Bereich des U-Boots geflutet ist.

Selbst wenn es noch einzelne Luftblasen im Boot geben sollte, so stehen sie wahrscheinlich auf Grund des eingeströmten Wassers unter zehnfachem Atmosphärendruck. Das sei tödlich, so ein Admiral.

Die Regierung versucht angesichts des Desasters, ihren Ruf zu retten. „Wir werden bis zur letzten Minute das Maximum geben“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Sonntag bei RTR. „Wir kämpfen um jedes Leben.“ Putin war scharf angegriffen worden, weil er seinen Urlaub am Schwarzen Meer nach dem Unglück zunächst nicht abgebrochen hatte. Vermutlich wusste er jedoch viel früher als der Westen und die Öffentlichkeit vom Ausmaß des Unglücks.

Bei den Angehörigen der Opfer stieß die Geheimniskrämerei von Regierungsstellen und Admiralität auf harsche Kritik. Das Unglück war erst am Montagmorgen, nach 48 Stunden, überhaupt bekannt gegeben worden. Ausländische Hilfe wurde erst am Mittwoch akzeptiert, nachdem russische Rettungsversuche gescheitert waren und nach heutigem Kenntnisstand Hilfe längst zu spät kam. Nun warten alle, dass die Ursache des Unglücks geklärt wird – Spekulationen reichen von einer Kollission bis zu einer Mine aus dem Zweiten Weltkrieg. REINER METZGER

reportage SEITE 3, brennpunkt SEITE 4