70 Zeilen heile Welt

In ihrem neuen Roman „Wintersonne“ macht Rosamunde Pilcher das, was sie am besten kann: Märchen erzählen

Zum Glück gibt es Dinge, die ändern sich nie. Zum Beispiel die Bücher von Rosamunde Pilcher. Man schnappt sie sich an einem verregneten Wochenende, liest sie eingepackt in die Kuscheldecke und fühlt sich hinterher irgendwie beruhigt darüber, dass es noch solche Bücher gibt, in denen am Ende alles rundum gut wird, egal, welche Widrigkeiten vorangegangen sind. Für den neuen Wälzer der 1924 geborenen, englischen Akkordschreiberin muss man sich allerdings mehr als ein Wochenende für die Lektüre nehmen: Er ist mit stolzen 777 Seiten doch recht umfangreich geraten.

Sonst hat sich nicht viel geändert. Die Romanfiguren und ihre Bestimmung sind so berechenbar wie eh und je. Elfrida, die alternde Schauspielerin, der charmante Witwer Oscar, die unglückliche, weil frisch getrennte Carrie, Sam, der von seiner Frau verlassen wurde, und die vierzehnjährige Lucy, die ein Zuhause sucht. Irgendwie verschlägt es alle nach Schottland, wo man gemeinsam das Weihnachtsfest feiert und dabei feststellt, dass man irgendwie doch zusammengehört.

Das alles könnte unsäglich peinlich, banal und langweilig sein, aber Pilcher wäre nicht Pilcher, wenn es ihr nicht gelänge, den Leser doch in ihren Bann zu ziehen. Das Buch zu lesen ist, wie einen Ausflug nach Schottland zu machen – ein Schottland freilich, wo die Welt noch heil ist und alle Konflikte sich durch ein Fingerschnippen lösen lassen. Und auf einmal gibt es nichts Dringenderes, als zu erfahren, ob Elfrida und Oscar ihr Haus behalten können oder ob Lucy zurück zu ihrem ungeliebten Stiefvater muss.

Und am Ende des verregneten Wochenendes, wenn der Montag und die wirkliche Welt drohen und man das Buch zugeschlagen hat, froh darüber, dass alles so gekommen ist, wie es kommen musste, reibt man sich die Augen und fragt sich, in welchem wunderbaren Märchenland man denn da gewesen ist. Und schaut nach, wann der nächste Pilcher-Roman erscheinen soll.SUSANNE KATZORKE

Rosamunde Pilcher: „Wintersonne“. Aus dem Englischen von Ursula Grawe. Wunderlich Verlag, Reinbek 2000. 777 Seiten, 49,80 DM