Haltung zeigen auf dem Kickboard

Der Rollerdandy

Die Ratlosigkeit ist groß und daher der Aktionismus nicht minder. Jetzt wirkt sogar der Expo-2000-Besuch als „Gegengift für fremdenfeindliche Parolen und Ausländerhetze“. Wo deutsche Fürsten an türkische Pavillons pinkeln, musste dieser Geistesblitz die Expo-Chefin Birgit Breuel geradezu zwangsläufig durchfahren. Offenkundig bereitet ihr das schwache Besucheraufkommen enorme Sorgen. Andernfalls wäre sie wohl selbst am meisten über ihren rasanten Einfall verblüfft, mit dem sie erst kürzlich das moralisch Gute mit dem ihren Kassen Nützlichen verbinden wollte: Die Fahrt nach Hannover als nationale Wallfahrt zum Zwecke der ideologischen Gesundung. Wer blind und taub war, wird mit dem Segen eines 65-Mark-Ablass-, pardon, Einlasstickets genesen. Und beim Blick auf das Heil unserer bio-, nano- und computertechnologischen Zukunft erkennen wir: Die Welt ist groß und rund und voller Nationentage!

Doch selbst die helfen der anvisierten Zielgruppe wenig. Die Sozialwissenschaft ordnet sie unter die Modernisierungsverlierer ein, und der auf der Expoannoncierte Blick in die Zukunft der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, in der das so genannte Humankapital die große Rolle spielen soll, eröffnet ihnen gewiss keine erfreulichen Perspektiven. Tatsächlich wäre Birgit Breuel wohl kaum glücklich, marschierten die rechten Kohorten dort, wo Verona Feldbusch und Peter Ustinov mit ihren lustigen Elektrowägelchen herumkurven, in straff geordneter Formation auf.

Anders steht es allerdings um eine weitere Gruppe junger Männer. Sie scheinen den Expo-Anspruch sehr viel genauer zu verkörpern als Verona und Peter in ihrem Generation-wir-golfen-Wägelchen. Wären nicht die flotten Anzugträger, die man plötzlich in deutschen Großstädten auf ihren Kickboards durch die Gegend sausen sieht, die entschieden besseren Expo-Werbeträger? Schließlich sind sie, die den Innenstadtbereich mit jenen putzigen Stahl- und Alugefährten mit den viel zu kleinen Rädern und viel zu kleinen Lenkern in Besitz nehmen, die Modernisierungsgewinner.

Das folgt allein schon aus der Tatsache, dass es kaum ein erwachsener Mensch wagen kann, mit solch einem Teil durch die Stadt zu gurken. Dafür braucht man schon ein besonderes Standing – und das ist nicht sportlich gemeint. Als berufstätige Frau jedenfalls kann man sich das Kickboard, den Micro-Scooter, Wetzer, Ciro-Roller und wie das Ding sonst noch heißt, nicht leisten. Man sieht darauf einfach zu unmännlich aus.

Eine Frau auf einem Kickboard ist keine Frau auf einem High-Tech-Endgerät, sondern eine Frau auf einem Tretroller, eine Mutti, die ihren Kindern das Spielzeug geklaut hat. Bei Girlies geht das noch in Ordnung. Aber für eine Frau in Berufskleidung – unmöglich. Bei Männern interessanterweise verhält sich die Sache umgekehrt. Sieht man rollernde Jungs in Sportswear, fragt man sich sofort, warum sie nicht auf einem Skateboard stehen. Erst beim Anzugträgern bekommt die Angelegenheit den entscheidenden Schick, ah, Kick.

Der aktuelle Anzugträger, er ist der Rollerdandy. Ihm würde man zutrauen, dass er noch vor kurzem in der Halfpipe brillierte. Und daher kann er bei seinem Eintritt in die Professional-managerial Class signalisieren, dass er den Spaß am Fun der vorangegangenen Tage keineswegs verloren hat. Ihm geht seine Männlichkeit nicht flöten, wenn er den Rollerknauf aus Edelholz bedient. Im Gegenteil. Indem er sie, schlipsbewehrt, auf dem umweltfreundlichen Fahrgerät ironisiert, zeigt er umso deutlicher, dass er sie fraglos in ihrer grundlegenden Form besitzt: Er eben gehört zu denen, die Dinge bewegen. Und sei es nur den Trend.

Der Kickboarder braucht jedenfalls nicht diese Spezialanfertigung von Männlichkeit, mit der sich die Rechten und Skins plagen und mit der man nicht nur auf einem Roller ziemlich dumm aussieht, sondern eigentlich auch in jeder anderen Situation. Der Rollerfahrer ist der Mann der globalen Stadt. In ihm scheint die Figur des verspielten Mannes wiederzukehren, wie sie in William Powell oder Cary Grant zur Ikone wurde. Zu diesem Mann gehört als reines Zeichen der Distinktion ein unbedingt albernes Zeichen. Ein Foxterrier zum Beispiel, der Mr. Asta heißt und der nach seinem Auftritt in „Der dünne Mann“, als George in „Bringing Up Baby“ erneut seine Rolle bekam. Dass heutzutage das Kickboard einen Mr. Asta ersetzt, kann in der Alltagssemiotik nur als folgerichtig gelten. Wo der Verlierer auf Leben, Kraft und Blut und also auf den Kampfhund setzt, besteht der Gewinner auf cooler Materialästhetik und dem Luxus zwar vollständig überflüssiger, aber dennoch konstruktiver Funktionalität. Und davon abgesehen ist es für den städtischen Workoholic sowieso zu schwierig, einen Hund zu halten.

In Berlin scheint diese Umbesetzung nun ein wirklicher, weil nachhaltig umweltfreundlicher Fortschritt. Dass ausgerechnet hier das Kickboard erfunden worden sein soll, mag man allerdings fast nicht glauben. Denn so heftig riecht die Stadt nun auch nicht nach Modernisierungsgewinnern. Naturgemäß lag es denn auch an den langen Wegen. Sieghart Straka, ausgerechnet Entwicklungsingenieur für die Autoindustrie, war 1994 seinen täglichen Fußmarsch zur S-Bahn leid. Also nahm er die Achsen eines Skateboards, legte eine Aluschiene drüber, schraubte eine Stange an, und fertig war der erste Ciro-Roller. 25 Mal baute er ihn, bei einem Stückpreis von 1.400 Mark.

Professionell vermarktet werden die Roller nun auch von Wim Outboter unter dem Namen „micro“, und in München stellt K 2 das Kickboard her. Inzwischen sehr viel billiger verkauft Karstadt-Sport in Berlin 300 Stück im Monat. Und da sich nun auch der Spiegel mit seiner Aboprämie um die bundesweite Verbreitung des „micro“ verdient macht, wird sich bald Otto-Normal-Hipster mit dem Fuß vom Boden abstoßen und in Fahrt bringen. Dann können auch erwachsene Frauen auf dem Ding eine gute Figur machen. Skins freilich werden nie Skater werden.

BRIGITTE WERNEBURG