Tod, Geld und Videos

Trotz Einspruch der schwedischen Regierung startet ein US-Team seine umstrittene Tauchaktion am Wrack der Estonia. So sollen Beweise für ein Attentat als Unglücksursache erbracht werden. In Wahrheit geht es um kommerzielle Interessen

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Am Dienstagnachmittag startete in der Ostsee die umstrittene Tauchaktion am Wrack der am 28. September 1994 gesunkenen Fähre „Estonia“. Das Spezialschiff „One Eagle“ des US-Tauchunternehmers Gregg Bemis war im Morgengrauen angekommen, wo es bereits von der schwedischen und finnischen Küstenwache erwartet worden war.

Vertreter der Küstenwache wiesen die Besatzung der „One Eagle“ auf die Ungesetzlichkeit einer Tauchaktion hin, informierten über die Gesetzeslage, werden sich aber nach eigenen Angaben darauf beschränken, die erwarteten Gesetzesverstöße für ein mögliches Gerichtsverfahren zu dokumentieren.

Am Katastrophenort besteht Tauchverbot und es ist ein gesetzlicher „Grabfrieden“ verhängt worden. Weil das „Estonia“-Wrack aber in internationalen Gewässern liegt, gelten diese Gesetze nur für Staatsangehörige der Länder, welche das Grabfrieden-Abkommen ratifiziert haben. Dies sind aber weder die USA noch Deutschland, das Land, aus welchem die Filmproduzentin Jutta Rabe mit ihrem Team stammt. Belangt werden könnten diese nur, falls sie schwedischen Boden betreten.

Wirtschaftsministerin Mona Sahlin beklagte am Dienstag nochmals, dass der schwedischen Regierung die Hände gebunden seien, und bezeichnete den kommerziellen Hintergrund der Tauchaktion als „beklemmend“. Dieser kommerzielle Hintergrund – die Tauchaktion wird von der Filmproduzentin Jutta Rabe und ihrer Gesellschaft „Top Story“ zumindest mitfinanziert, das Material soll meistbietend verkauft werden und ein Spielfilm ist geplant – hatte offenbar auch die schwedische Kirche in letzter Minute veranlasst, die Zusage der Teilnahme eines Pfarrers bei der Tauchaktion zurückzuziehen: Man wolle nicht den Anschein erwecken, dass die Kirche diese Aktion legitimiere, erklärte Erzbischof K. G. Hamar.

Nach Bemis’ und Rabes Erklärungen ist es die „Wahrheit“ über den „Estonia“-Untergang, die man mit der Tauchaktion finden will. In der schwedischen Bevölkerung unterstützen nach einer Ende vergangener Woche veröffentlichten Umfrage nur 26 Prozent die Aktion. Laut einer am Dienstag von der Stockholmer Dagens Nyheter veröffentlichten Umfrage unter Angehörigen von schwedischen Opfern stützen aber 374 von 711 Befragten die Aktion. Bei dieser Gruppe überwiegen offenbar Zweifel, ob der Bericht der Untersuchungskommission, die als Ursache eine Mischung aus Konstruktionsfehlern des Schiffes und fragwürdiger Fahrweise sieht, die letzte Wahrheit ist.

Bemis wie Rabe glauben, dass ein Attentat die Untergangsursache ist, und hoffen mit ihrer Tauchaktion hierfür Belege zu finden. Für den Fall, dass die Aktion handfeste Beweise für eine Attentatstheorie erbringe, schloss Schwedens Wirtschaftsministerin Mona Sahlin neue Ermittlungen nicht aus. Sie befürchtet aber, dass sich nach der „geschmacklosen“ Aktion bald Plünderer und Abenteuerlustige am „Estonia“-Wrack mit seinen 757 Toten tummeln könnten.