Possenreißer der Moderne

■ Was den einen Eklat, war den anderen Moment größter Sympathie: Christoph Eschenbach spielte mit dem Houston Symphony Orchestra und wird es nicht vergessen

Vor ausverkauftem Haus fand am Dienstag Abend ein später Publikums-Höhepunkt des Schleswig Holstein Musik-Festivals statt. Christoph Eschenbach spielte mit dem Houston Symphony Orchestra, das er selbst von 1988 bis 1999 leitete, Stücke von Ives, Mahler, Copland und Brahms. Was soll man von einem so eingespielten Team schon Besonderes erwarten, mag man sich im Vorfeld gefragt haben. Die Antwort: eine ziemlich aufregende Berg- und Talfahrt.

Den Anfang machte ein Stück des amerikanischen Eigenbrötlers Charles Ives. Leider wurde wieder einmal klar, dass selbst gute Orches-ter leicht dazu neigen, ungewöhnliche Stücke zu unterschätzen. Die eigentlich lobenswerte Idee, Ives mit in ein so illustres Programm aufzunehmen, endete damit, dass der Avantgardist des Abends als harmloser Possenreißer verheizt wurde. Die gebotene Version von Variations on America (1891), eine satirische Bearbeitung der englischen Nationalhymne, wirkte wie eine dahingespielte Lachnummer.

Bei Gustav Mahlers früher Sammlung Lieder eines fahrenden Gesellen (1884) betrat erstmals der Bariton Thomas Hampson die Bühne, vorgestellt als der „von den führenden Dirigenten dieser Welt bevorzugte Vokalsolist“ (Info). Doch schon während seiner umjubelten Interpretation der spätromantischen Lieder Mahlers machte sich mangelnde Abstimmung zwischen ihm und dem Orchester bemerkbar.

Der nächste Programmpunkt schien der einnehmenden Art des Solisten auf den Leib geschneidert zu sein, denn der Komponist Aaron Copland gehört durch viele Arbeiten für Bühne und Film zum amerikanischen Kulturkanon. Und tatsächlich begannen seine fast musicalhaften Old American Songs (1954/55) ges-tenreich und gefällig. Die Unstimmigkeiten, die sich jedoch auch hier weiter fortsetzten, gipfelten im vierten Song, je nach persönlicher Erwartungshaltung des Zuhörers, in einem Eklat oder einem sympathischen Moment: Der, ohne jegliche Noten angetretene Hampson benötigte drei Anläufe und zu guter Letzt die gesamte Partitur Eschenbachs, um das eher simpel gehaltene Volkslied The Golden Willow Tree zu Ende führen zu können. Ganz der große Entertainer schaffte Hampson es aber sogar, für diese Situation noch Sonderapplaus einzuheimsen.

Hier war der ritualisierte Konzertablauf für einen Moment aufgebrochen, nur um gleich nach der Pause wieder seine üblichere Seite zu zeigen, als zwischen den ersten beiden Sätzen der 2. Symphonie von Brahms (1877) zaghafte Klatscher sehr bestimmt im Keim erstickt wurden. Ansonsten hatten weder das Orchester, noch das Hamburger Publikum, das wieder einmal dem Stolz auf einen ihrer größten Söhne Ausdruck verleihen durfte, irgendwelche Probleme mit der anspruchsvollen und wuchtigen Komposition. Das Ende des Konzerts markierten stehende Ovationen und Zugaben mit ausgiebigen Schlussakkorden.

Alles in allem ein sehr unterhaltsamer Abend; allerdings wird sich der Perfektionist Eschenbach nicht gerne an dessen untypische Momente zurückerinnern.

Andi Schoon