Kaputte Welt spielen

Hauptsache, die Kulisse stimmt: Berliner Mittelstandskids reisen nach Gropiusstadt und drehen Musikvideos – und die Sozialarbeiter freuen sich. Die echten Anwohner bleiben eher abseits

von SUSANNE KATZORKE

Robert ist cool, und das ist wichtig, wenn man fünfzehn ist und eine Band hat. In der rechten Hand hält er eine Zigarette. Gestikulierend erklärt er, dass Immortality Musik zwischen Pop und Rock machten, „so wie Echt“. Auf die Bemerkung, sein Haarschnitt sei auf jeden Fall besser als der von Kim, grinst Robert und wird ein bisschen rot unter seinen strubbelig geschnittenen Haaren.

Immortality gibt es jetzt seit einem halben Jahr. Die Band besteht aus vier Leuten, ihre Songs schreiben sie selbst. „Wir singen über soziale Probleme wie Arm und Reich und Prostitution und so“, sagt Robert. Von sozialen Problemen dürften er und seine Kumpel bisher allerdings höchstens vom Hörensagen wissen: Sie kommen aus einer heilen Mittelstandswelt in Treptow. Ihre Eltern unterstützen ihre Aktivitäten, sie haben einen gesicherten Probenraum und sogar einen Manager, der mit ihnen eine Tour in Bayern plant. Ärger gibt es nur, wenn über der Musik die Hausaufgaben vernachlässigt werden.

Für ein paar Tage sind Immortality jetzt in einer anderen, nicht ganz so heilen Welt angekommen: Sie haben in Gropiusstadt ihr erstes Video gedreht. Für ihre sozialkritschen Songs ist das sicherlich eine bessere Kulisse als der nette Wohnbezirk Treptow.

Die Trabantenstadt am Rand Berlins hat nicht den besten Ruf, und wer es sich leisten kann, zieht weg. In den Plattenbauten, die in den Sechzigerjahren entstanden sind, wohnen heute über 37.000 Menschen. Der Ausländeranteil ist hoch, immer wieder kommt es zu Zwischenfällen – der Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt. Das haben auch die Jungs von Immortality bemerkt: „Es gibt schon mal Ärger mit Ausländern, aber auch mit deutschen Assis. Da ist es in Treptow viel ruhiger.“

Gropiusstadt als Berliner Bronx? Zunächst einmal sieht man viel Grün und hübsch eingezäunte Parkplätze. Auch Rainer Wieczorek, Mitarbeiter des Kulturamts, und Miriam Tscholl, Sozialpädagogikstudentin, sehen die Sache mit dem sozialen Brennpunkt gelassen: Sicher, Gropiusstadt sei ein Schwellenbezirk, der kippen könnte, aber so weit sei es noch nicht. Und auch auf einem der Treffpunkte des Viertels, dem Bat-Yam-Platz, geht alles ganz entspannt zu: ein paar Punks, ein paar tätowierte Männer mit Bierbüchsen und viele Rentner.

Rainer Wieczorek und Miriam Tscholl betreuen das Projekt Gropiusstadt 2000. Die Idee war eigentlich, mit Jugendlichen Filmaufnahmen von „ihrer“ Gropiusstadt zu machen und daraus dann kurze Videos zu schneiden. Doch das war schwierig: Die Jugendlichen kamen und gingen, wie es ihnen passte, erzählen die beiden, Termine platzten, weil gerade niemand Bock hatte oder die Handykarte leer war und man sich gegenseitig nicht informieren konnte.

Bis jetzt hatten die Betreuer nur mit ein paar Jugendlichen Kontakt, die „ein bisschen härter drauf sind“. Die haben dann allerdings erst einmal Miriam Tscholl beklaut, was die Studentin ein wenig hilflos erzählt: Sie war zwar enttäuscht davon, sagt sie, aber auch irgendwie dankbar, überhaupt Kontakt zur Szene zu bekommen. Die weitere Zusammenarbeit war dann etwas schwierig.

Und so kam Immortality nach Gropiusstadt. Aus dem sozialpädagogischen Projekt ist ein Tauschgeschäft geworden: Miriam Tscholl und Rainer Wieczorek bekommen ihren Kurzfilm, und Immortality nimmt einen Videoclip mit nach Hause, mit dem sie sich bei Plattenfirmen vorstellen können. Dass die vier Jungs überhaupt nicht aus Gropiusstadt kommen, ist für Rainer Wieczorek kein Problem: „Da muss man pragmatisch rangehen.“

Außerdem fühlen sie sich im Umgang mit den Jungs von Immortality auch wohler als mit den Bewohnern der Gropiusstadt: Der Ton sei eher locker, findet Miriam Tscholl, man könne sie auch mal anmachen, wenn ihr etwas gar nicht passt. Als Robert und seinem Freund langweilig wird, gehen sie allerdings einfach. Da kann Miriam Tscholl noch so eindringlich auf sie einreden, doch noch ein paar Minuten zu bleiben.