Die Leistungsschau

Mit „Arcimboldo 2000“, getanzt vom Nederlands Dans Theater, zog „Tanz im August“ weiter in die Deutsche Oper

Sie feiern sich, und das zu Recht. Um das Nederlands Dans Theater, das 1959 gegründet und seit 25 Jahren von Jiri Kylian geprägt wurde, kam lange keiner herum, der an zeitgenössischen Interpretationen des Balletts interessiert war. Im August 1999 gab Kylian die künstlerische Leitung ab, um weiter als Choreograf zu arbeiten. In „Arcimboldo 2000“, dem Stück zum Jubiläum, aber erweist er sich vor allem als Zeremonienmeister, der eigene Stücke mit den Handschriften anderer zu einem schillernden „Best of . . .“ verwebt. Der Maler Arcimboldo, der am Hof Kaiser Maximilians die barocke Allegorie zu fantastischen Collagen steigerte, diente als Namenspatron. Er malte Gesichter, die aus Blumen, Gemüse, Büchern oder Werkzeugen zusammengesetzt waren. Von den Dadaisten wiederentdeckt, ist er seitdem zu einem Urahn aller postmodernen Zitatenkunst geworden.

Doch wo der barocke Bildmonteur in jeder Zusammensetzung die Einheit der Welt beschwor, zerfasert „Arcimboldo 2000“ in eine Nummernrevue. Schon die Musik, die eingespielt wird, frisst sich durch Jahrhunderte und ebnet Unterschiede der Kultur und der Konzepte ein: Tschaikowsky, Steve Reich, Khatchaturian, Pergolesi, schottischer Dudelsack, Michael Torke, Franz Schubert, schließlich steht alles als Konserve zur Verfügung. Auf Bodys aus grünem Gummi folgen Röcke aus roter Seide; die Bühne, eben noch von skurrilen und unberechenbaren Wesen besetzt, wird im nächsten Zug von Gleichschritten in Rot überflutet. Bemühte Parodien auf das ewige Schmachten des Pas de deux werden von anrührenden Duetten, in denen plötzlich jede ausgestreckte Hand und jede hochgezogene Schulter wieder von Verlangen und Verletzbarkeit erzählen, abgelöst. Manchmal haut einen, besonders in Kylians eigenen Stücken, der Feinschliff fast um, der in die Kurzstrecke eines Männer-Solos die Dynamik eines ganzen Zeitalters packt, als hätten nicht nur die Maschinen, sondern auch die Körper gelernt, zehnmal mehr Informationen in der Sekunde zu verarbeiten als noch vor Jahren. Doch immer wird solche Appetit weckende Konzentration vom nächsten anstürmenden Tänzertrupp zerstört.

So gleicht „Arcimboldo 2000“ der Vorwegnahme einer Fernsehkompilation, zusammengeschnitten aus Archivmaterial und Besuchen hinter den Kulissen. Die Besucher in der Deutschen Oper allerdings reagierten dankbar auf die Koketterie und Publikumsanimationen, froh über jeden Gag. Der vorprogrammierte Höhepunkt des „Internationalen Tanzfests Berlin“ funktionierte. Nur wer die Gastspiele der drei NDT-Ensembles 1998 gesehen hatte, wusste, dass man von ihnen auch viel tiefgründigere Stücke als diese Leistungsshow erwarten kann.

KATRIN BETTINA MÜLLER

NDT, „Arcimboldo 2000“, Deutsche Oper, 24. 9., 19 Uhr