Mit Weichzeichner gegen die Nazis

Gutartige Menschen und bürgerlicher Widerstand in gepflegten Gärten. In Eric Tills „Bonhoeffer – Die letzte Stufe“ wird der Theologe und Hitler-Gegner zum Schöngeist. Seine Verzweiflung und die Kämpfe mit der evangelischen Kirche bleiben dabei auf der Strecke. Die Nazis sind mal wieder die anderen

von CHRISTIAN SEMLER

Auch für Zeitgenossen, die dem Christentum ganz ferne stehen, hat die Figur des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer etwas Strahlendes behalten. Viele seiner Schriften, vor allem die, die im Nazi-Kerker entstanden sind, lesen sich als Dokumente der Befreiungstheologie. Christus ist vor allem für die Schwachen, für die Unterdrückten und Verhöhnten da. Die christliche Botschaft ist optimistisch, zukunftszugewandt. An allem zweifelte Bonhoeffer, an seiner Kirche, an sich, nicht aber an Christus. Deshalb hatte er trotz vieler Skrupel letztlich keine Bedenken mehr, im Kampf gegen Hitler viel weiter zu gehen als die meisten seiner Glaubensgenossen. Er wurde zum „Hochverräter“, der auch den Mord am Tyrannen bejahte.

Im deutschen Film der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre, etwa in „Canaris“ oder in „Des Teufels General“ wurde dem Publikum ein Bild des (bürgerlichen) Widerstands gegen Hitler entworfen, das den Konflikt zwischen der Loyalität zur nazistischen Staatsgewalt und den Regungen des Gewissens eher plakatierte als darstellte und in dem kein Raum war für charakterliche Ambivalenz, geschweige denn für die politischen und gesellschaftlichen Grenzen dieser Art von Opposition. Damals ging es darum, gegenüber der Antifa-Identität der DDR eine eigene historische Widerstandsidentität aufzubauen. Rivalisierende filmische Traditionspflege. Die Männer des 20. Juli gegen die Helden der Defa.

Das Ende der Ost-West-Konfrontation hat diese ideologische Zwangsjacke überflüssig gemacht. Auch innenpolitische Rücksichten sind gefallen. Alle in Westdeutschland wieder zu Amt und Würden gelangten Nazi-Schurken sind hinüber. Auch die Richter, die Bonhoeffers Mörder nach dem Zweiten Weltkrieg so pfleglich behandelten, weilen nicht mehr unter uns. Jetzt, wo es nichts mehr kostet, gibt sich selbst die deutsche Justiz zerknirscht, das Todesurteil gegen Bonhoeffer wurde kassiert. Zeit für einen Film über Bonhoeffer, der kein Heiligenbildchen malt. Der zeigt, wie der Christ Bonhoeffer gegen die große Mehrheit des deutschen Volkes wie der evangelischen Gläubigen sich gegen Schweigen und Anpassung stemmt. Wie er unter Anfechtungen und Zweifeln den Weg zurücklegt vom kritischen Theologen zum Teilnehmer einer geheimdienstlichen Verschwörung.

Eric Tills „Bonhoeffer – Die letzte Stufe“ ist von einer solchen Konzeption sehr weit entfernt. Till lässt eine große Zahl gutartiger, gebildeter Menschen, eben den Umkreis Bonhoeffers, ihren Unmut über Hitler äußern, meist in gutbürgerlichen Interieurs oder gepflegten Gärten. Selbst der mit dem Verhör Bonhoeffers und der Verfolgung der Canaris-Gruppe beauftragte Nazi-Jurist nimmt Teil an der gesitteten, weich gezeichneten Atmosphäre.

Ulrich Tukur spielt genauso schön Klavier wie sein Protagonist. Ein durch und durch liebenswerter, manchmal ironischer, argumentativ gewandter und dazu noch glaubensstarker Zeitgenosse, dem nur eines fehlt: Zorn und Verzweiflung.

Tukurs Bonhoeffer ist beileibe kein ewig leidensbereiter Frömmler. Und kein papierener Besserwisser. Was er seiner Verlobten (Johanna Klante) und anderen Mitmenschen an Zitaten aus Bonhoeffers Schriften zum Besten gibt, schreibt man ihm willig zu. Aber bitte: Hatte nicht Bonhoeffer schon vor und kurz nach Hitlers Machtübernahme gegen die Feigheit seiner Glaubensbrüder gedonnert, hatte er nicht einen Kampf geführt an der Seite Martin Niemöllers und Karl Barths, hatte er nicht in Frage gestellt, ob man als Christ noch Mitglied dieser evangelischen Kirche sein könne?

Von Reichsbischof Müllers Versuch, die Kirche in toto auf Hitler einzuschwören, von den Auseinandersetzungen mit den „Deutschen Christen“, von der ganzen Geschichte von Anpassung und Widerstand seit der Barmer Bekenntnis-Synode von 1934 – von all dem in diesem Film keine Spur. Die Nazis, das ist hier das Unheil, das von außen kommt.

„Bonhoeffer – Die letzte Stufe“.Regie: Eric Till. Mit Ulrich Tukur, Ul-rich Noethen, Johanna Klante u. a.Deutschland/Kanada, 1999. 87 Min.