Warum keiner kondolierte und Lorant die Hand nicht gab

„Passiert is’ gar nix“: Nach dem 0:1gegen Leeds United dürfen die 1860er nicht in die Champions League. Die Münchner ärgern sich aber nur verhalten darüber

MÜNCHEN taz ■ Das schafft nicht einmal der Kanzler: mit einem Schlag das Geplaudere eines Dutzends Journalisten zum Verstummen zu bringen. Nicht der Papst schlappte herein, nicht Gerhard Schröder, nur ein Häuflein Elend. Als die Tür der Löwen-Umkleidekabine aufging, war es mit einem Mal totenstill. Wie eine Trauerprozession schlurfte eine kleine Herde junger Männer mit hängenden Köpfen und verschwitzten Körpern an den Pressemenschen vorbei, hinaus auf den Rasen zum Auslaufen. Keiner traute sich, die Fernsehkamera anzuknipsen oder gar eine Frage zu stellen. Man mochte kondolieren oder wenigstens ein bisschen trösten.

0:1 gegen Leeds – aus der Traum. Dabei hatten die Münchner Löwen doch so fest daran geglaubt nach der knappen 1:2-Niederlage in England. Champions League, endlich bei den Großen mitspielen, viel Geld verdienen (20 Millionen Mark). Und nun: Uefa-Cup statt Champions League. Statt Real, Juventus und ManU kommt nun vielleicht der VfB. „Schon schade“, sagt Karl-Heinz Wildmoser, die Inkarnation des Sechzgers, der Präsident, weißblau bis ins Hemdmuster. Als er vor Spielbeginn seinen Tribünenplatz ansteuerte, die Vorfreude und die tolle Stimmung der 56.000 Fans im Olympiastadion fühlte, da wurde es schon etwas feucht in Wildmosers Augenwinkeln. „Das wichtigste Spiel seit mehr als drei Jahrzehnten“, sagte er in jedes Mikrofon. Zwei Stunden später dann: „Passiert is’ gar nix. Auch im Uefa-Cup kann man Geld verdienen und die Fans europäisch begeistern.“

Gegen Engländer würde Wildmoser dort allerdings lieber nicht spielen. Kein Wunder: Leeds gegen Sechzig war die 150. Europapokalbegegnung zwischen einer deutschen und einer englischen Mannschaft. Die Bilanz aus deutscher Sicht lautet nun: 45 Siege, 32 Remis, 73 Niederlagen. Die 73. war eine besonders bittere. Selten hat man die Löwen derart offensiv, entschlossen, willig gesehen. Chancen im Minutentakt, wild und ungestüm ging’s Richtung Nigel Martyn, Torwart der Engländer. Leider agierte aber auch die Abwehr zu wild, zu ungeschickt, was kurz nach der Pause bestraft wurde. Ein Missverständnis zwischen Libero Marco Kurz und Manndecker Stephan Paßlack nutzte Alan Smith, der schon im Hinspiel das 1:0 erzielt hatte. Es sollte das einzige Tor in dieser intensiven Partie bleiben. Es war ein Wegdreh-Kopfschüttel-Spiel.

Zur Pause war man sich auf der Tribüne schon einig: „Die schaffen’s nicht.“ Wer so gut spielt, aber so viele Chancen vergibt, verliert. Spätestens nach Thomas Häßlers Freistoß vor der Pause, der bis auf wenige Zentimeter perfekt war und also gegen den Pfosten schlug, spätestens da hätte man jede Wette auf ein Ausscheiden der Löwen angenommen. Trainer Werner Lorant, zur Feier des besonderen Tages mit Schlips und Stoffhose, griff sich in der Szene an den Krawattenknoten, zögerte kurz: lockern oder zuziehen? Er ließ dann doch alles, wie es war. Eigentlich ein viel zu gefährliches Instrument in Händen eines so impulsiven Mannes.

Auch sein Kollege aus Leeds, David O’Leary, offenbarte Temperament. In der Pressekonferenz wurde der zuvor so entspannte Sieger plötzlich richtig böse und blaffte: „Wenn ich verliere, dann sportlich.“ Sprach’s, knallte das Mikro auf den Tisch, warf noch einen grimmigen Blick Richtung Verlierer Lorant und stürmte von dannen. Der Löwen-Coach hatte ihm den Handschlag verweigert. Nicht weiter schlimm, meinte Lorant: „Wenn der mir in England nicht die Hand gibt, geb ich ihm hier auch nicht die Hand.“ So, wenigstens nach dem Spiel den Engländern getrotzt, jawoll. THOMAS BECKER

1860 München: Hofmann - Paßlack (64. Winkler), Kurz, Stranzl - Cerny, Mykland, Borimirow (76. Beierle), Häßler, Bierofka (74. Tyce) - Max, Agostino Leeds United: Martyn - Kelly, Rabebe, Woodgate, Harte - Mills, Bowyer, Jones (74. Evans), Duberry - Viduka, SmithTor: 0:1 Smith (46.)