Entwöhnung statt Entzug

Im St.-Hedwig-Krankenhaus wird 2001 ein Zentrum für chinesische Medizin eingerichtet. 20 Betten stehen den Patienten zur Verfügung. Die Erforschung der traditionellen Heilverfahren, die dort angewendet werden, findet an der Charité statt

von LARS KLAASSEN

Eines ist bereits klar: Über mangelnde Nachfrage braucht man sich an der St.-Hedwig-Klinik in Berlin-Mitte keine Sorgen zu machen. Anfang 2001 wird dort ein Zentrum für chinesische Medizin eingerichtet, und schon jetzt erkundigen sich Patienten, ob man sich mit den alternativen Heilmethoden behandeln lassen könne. 20 Betten sind für die stationäre Behandlung vorgesehen, die sowohl von chinesischen als auch von deutschen Medizinern durchgeführt wird.

Künftig können Patienten in der Großen Hamburger Straße in vielen Fällen selbst entscheiden, welche Therapieform sie bevorzugen. Die Bettenkapazität wird nicht auf einer gesonderten Station konzentriert, sondern auf verschiedene Krankenhaus-bereiche verteilt.

„Das Projekt soll nicht nur den Patienten eine seriöse Behandlungsmethode anbieten, sondern auch Qualifizierungsmaßnahmen für Ärzte und ein solides Lehrangebot für Studierende bieten“, erläutert Beate Hübner. Die ehemalige Gesundheitssenatorin (CDU) hat das Vorhaben maßgeblich mit initiiert und ist Vorsitzende des Fördervereins für traditionelle chinesische Medizin. Der Verein sitzt an der Charité, wo die wissenschaftliche Arbeit des Zentrums erbracht wird.

„Eines unserer Ziele ist es“, so Hübner, „mit den Vorurteilen und Mythen auzuräumen, die sich um die bis zu 4.000 Jahre alten Heilmethoden ranken.“ Auf drei Bereiche wird sich das Projekt dabei im Wesentlichen konzentrieren: Hauptteil der Arbeit ist die Phytotherapie beziehungsweise die chinesische Pharmakotherapie. Die traditionellen Heilmittel, die größtenteils aus Pflanzenteilen, aber auch aus tierischen Substanzen wie Skorpionen und Schlangenteilen bestehen, sollen importiert, erforscht und schließlich in der Praxis angewendet werden. Beim Aufbau einer Apotheke werden bereits vorhandene Forschungsergebnisse aus Europa und Asien über einzelne Substanzen mit einbezogen. Dabei muss vor allem die Reinheit der Stoffe gewährleistet sein, was bei Importen bislang nicht immer der Fall ist.

Ein weiterer Anwendungsbereich der chinesischen Medizin erstreckt sich auf die Schmerztherapie. Akupunktur soll den Anteil von Medikamenten in der Behandlung senken. Drittes Feld ist die Suchttherapie, bei der vor allem Ohr-Akupunktur Erfolge verspricht. „Entwöhnung statt Entzug“ heißt dabei die Alternative zur klassischen Schulmedizin. Das jüdische Krankenhaus in Berlin und die Greifswalder Universitätsklinik haben ihre Unterstützung im Bereich der Suchtbekämpfung bereits zugesagt. Zu den stationären Behandlungen werden zusätzlich ambulante Therapien angeboten.

Nicht nur von Patientenseite ist die Nachfrage am künftigen Zentrum für chinesische Medizin groß: Auch bereits in Deutschland praktizierende chinesische Mediziner haben bereits Interesse an einer Mitarbeit bekundet. Doch da der Wechsel in ein anderes Bundesland für ausländische Mediziner mit bürokratischen Hürden verbunden ist, hält man sich bislang noch bedeckt.

Unklar ist zunächst auch noch, wie die Kooperation mit einer geplanten Stiftungsprofessur für traditionelle chinesische Medizin an der Freien Universität (FU) aussehen soll. Der Johanniterorden hat für die Einrichtung dieses Lehrstuhls Spenden gesammelt, zusätzlich hat die Krupp-Stiftung Geld für das Projekt zugesagt. Ob die Professur tatsächlich – wie ursprünglich geplant – der Sinologie an der FU zugeordnet wird, ist bislang offen. Ziel dieses Modells wäre die sprachwissenschaftliche Analyse historischer chinesischer Texte zur Medizin. Mit ihrer Hilfe könnten ideologisch motivierte Überlieferungen von rein wissenschaftlichen Erkenntnissen unterschieden werden.

Nach anfänglichen Vorbehalten haben mittlerweile selbst die Krankenkassen ihr Wohlwollen gegenüber dem Zentrum für chinesische Medizin bekundet. Jürgen Hardt, Chef der Barmer Ersatzkasse in Berlin, ist gar Mitglied des Fördervereins – allerdings als Privatperson, wie man bei der Barmer betont. Dennoch: „Eine moderne Krankenkasse kann und will sich solchen Therapieverfahren nicht verschließen“, betont Pressesprecherin Viola Matzke. Zusätzliche Kosten aber dürfen die fernöstlichen Weisheiten den Kassen natürlich nicht verursachen.