Der höfliche Kanak-Attacker

Die Abziehbilder der Identität sind hohl, meint Feridun Zaimoglu, türkisch-deutscher Kultautor. Fünf Jahre ist sein Buch „Kanak Sprak“ alt. Jetzt wendet er sich gegen den blinden Aktionismus von Krausköpfen und ihren Ausländerbonus. Die multikulturelle verschiebe sich zur soziokulturellen Gesellschaft
Interview: MARTIN HAGER

taz: Hast du einen besonderen Zugang zur deutschen Sprache?

Feridun Zaimoglu: Einen anderen Zugang als Einsprachler sicher. Ich habe eine andere Melodie, andere Bilder im Kopf. Ich habe Metaphern und Spracheinheiten aus dem Türkischen in der Seele. Schon die Art, zu sprechen, ist anders. Man sieht das auch an den Texten: Nicht nur ein kehliger Zungenschlag, sondern ein komischer, immer währender Perspektivenwechsel. Egal ob ich mich wie ein Paradepferd im Schweinsgalopp durch die deutsche Sprache pflüge oder eher erzählerisch bin und weniger mit Rhythmus, sondern mit Bildern arbeite. Zum Beispiel der Satz: „Wenn du mich enterbst, werden dir die Krähen die Augen ausschnäbeln.“ Das ist ganz komisch archaisch, zum Teil auch lachhaft. Man bewegt sich in Großstädten, hat aber noch den archaischen Sprachschatz von Legenden, Spruchweisheiten, Merksprüchen usw. im Kopf. Dazu kommen diese ganzen Brüche, diese MTV-Rap-Geschichten, Neonlicht, Diskothekendeutsch. All das knete ich zu meiner Kunstsprache zusammen.

Kanak Sprak, deutsch-türkisches Unterschichtenkauderwelsch, ist mittlerweile dein Markenartikel. Bist du Teil des Milieus, das du beschreibst, oder nur Beobachter?

Mir wird immer wieder gesagt: „Herr Zaimoglu, Sie sprechen zu flüssig Deutsch. Irgendwas stimmt da nicht in Ihrer Familie.“ Ich wünschte ja selbst, ich käme aus großbürgerlichen Verhältnissen, aber stinknormales Arbeitermilieu? Die Medien wollen das mystifizieren.

Für meine Bücher habe ich mich aber in gewisse Szenen hineingefummelt. Ich bin kein Zuhälter. Ich bin auch nicht in einer psychiatrischen Abteilung. Wenn ihr fragt, wie authentisch ich bin, sage ich euch: Einer soll mir kommen und die authentische Nummer abziehen. Ich bin genauso falsch wie alle anderen Leute, die mit gebrochenen oder ungebrochenen Identitäten kommen.

Rührt daher dein Problem mit dem Begriff der Identität?

Die Sehnsucht nach einer Eindeutigkeit in Zusammenbruchsszenen oder in unübersichtlichen Zeiten kann man stehen lassen. Aber wenn ich sage „Identität“, dann meine ich damit die neurotisch mit sich selbst beschäftigte Identität, und da sehe ich einen Unterschied.

Ob ich es mit der Generation Pop, Generation Kohl, Generation Golf, Generation was auch immer zu tun habe, ich sehe da keine bis nur eine statische Substanz. Es geht eben nicht auf, wenn man eine Identität aus dem Konsum von Gebrauchsgegenständen zusammenzimmert. Die Leute – auch wenn sie sich öffentlich über hochmögendes Denken und Klügeln legitimieren – tun so, als müssten sie auf Teufel komm raus eine Fülle von Biografien zusammentun, die dann eine Identität hergeben, ein passendes Bild für diese Zeiten. Erstaunlich ist: Wenn man sich diese Identitäts-Abziehbilder ankuckt, dann sind sie hohl.

Wie steht es denn mit sozialer Identität, mit Klassenbewusstsein?

Was die Deutschland-Türken anbelangt, würde ich es eher als Klassenscham bezeichnen. Man hält lieber das Maul. Das zeigt sich ironischerweise gerade in der Türkei. Wenn unsereiner anfängt, Türkisch zu reden, dann wird man sofort als Bauer erkannt. Es ist ein besonderes Sprechen im Dialekt. Ein Großstädter aus Istanbul würde nicht diesen Dialekt sprechen.

Ist „Deutschländer“ gleich „anatolischer Bauer“? Haben die einen Makel?

Nicht nur einen Makel, sondern mehrere. Manche, die ich böse als Abiturtürken bezeichne, versuchen, sie zu verwischen, indem sie so wenig Türkisch wie möglich sprechen oder indem sie ein ganz besonders schleimiges Türkisch sprechen, so ein Neutürkisch. Sie möchten mit diesen Sprach-Roots nichts mehr zu tun haben, weil man sie sofort abstempelt als Milieukanaken. In der Türkei ist man da gnadenlos. Da denken die Leute, das sind Bauern, die machen das Bild der Türken im Ausland schlecht, die laufen da rum, wie sie in den Dörfern herumgelaufen sind mit ihren Dorfkäppis.

Du giltst einerseits als gefährlicher Kanak-Attacker, andererseits bist du die Höflichkeit in Person. Wie lebt es sich damit?

Ich kann nicht unbedingt etwas dafür, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Wenn sie sagen: „Um Gottes willen, wir haben ihn eingeladen, was sollen wir jetzt machen? Zieht er die Knarre und ballert in die Luft?“ – die Gefahr besteht nicht. Ich habe Achtung und Respekt vor der politisch korrekten Rede. Sie kann wirksam sein gegen den reaktionären politischen Drecksermon, der seit einiger Zeit en vogue ist. Aber ich fühle mich ihm nicht verpflichtet. Denn die politisch korrekte Rede bewirkt nicht unbedingt den Austritt aus einer Gewaltbeziehung, sondern wirkt in ihrer vorgeblichen Neutralität eher verschleiernd.

Das heißt, du wählst bewusst eine Pose?

Es ist nicht eine Pose, sondern eine Haltung. Mit einer Pose ist es wie mit dem Ausländerbonus. Nach einer Weile sagen die Leute: Hat der Mann denn nicht etwas anderes darzulegen?

Trotzdem bewegst du dich in der Ausländernische.

Es ist nicht eine einzige Nische. Natürlich gibt es diese große Thematik „Wie verhält es sich denn mit unseren Türken hier in diesem Land? Ziehen sie sich zurück, oder bleiben sie dabei?“ Da kommt jetzt dieser EffZett und behauptet, dass all diese auch in der taz aufgehängten und ausgewalzten Ansichten über den Rückzug und über Community-Denken zu kurz greifen. Ich stelle fest: Jeder Versuch, ein Gruppenbewusstsein herzustellen mit dem Ziel, gewisse Bürgerrechte durchzudrücken, funktioniert nicht. Genauso wenig, wie es einen Rückzug aus der deutschen Öffentlichkeit gibt, gibt es eine Verklumpung. Es gibt viel zu viel Zoff, viel zu viele Unterschiede und viel zu viele Konflikt in den Szenen. Das muss man erst verstehen, dann sagt man: Gut, es gibt keine Community.

Welche Szenen gibt es denn? Hat eine mehr politisches Gewicht als andere?

Ich glaube nicht. Es gibt die neue Coolness im Sinne eines bloßen Zugewinns an Stolz und Auftrittscharme, wie es das deutsch-türkische Hochglanzblatt Etap versucht hat. Dem ist kein Erfolg beschieden. Es ist ein formeller Auftritt im Sinne einer Verweigerung, eines Protests. Beispiel: Turkos, zieht eure Gelder aus deutschen Kreditinstituten und legt bei türkischen Banken an! Diese Aufrufe wurden nicht befolgt.

Dann gibt es den Ansatz eines radikalen Separatismus. Nationalisten und Fundis, die betreiben eine tatsächliche Gettopolitik bei den Grauen Wölfen, bei Milli Görüș und anderen, doch sie haben ein Rekrutierungsproblem.

Dann gibt es den Ansatz „Türkenchance 2000“. Gangsterismus, Guerillataktik und metropolitanes Nachtleben, von Berlin-Mitte bis zum Kiez, HipHop etc., in eindeutigen Unterschichtsvierteln. Das ist eher eine Art „Lifestyle“, ein Lebensgefühl, man macht daraus keine Politik.

Dann gibt es einen blinden Operationismus enthusiasmierter Krausköpfe, die ausschwärmen und jedem ins Mikrofon husten, dass sie zwei Öltanks seien, die mit ihren Bindestrich-Identitäten angeben. In vierzig Jahren Migrationsgeschichte hat es also viele Ansätze gegeben.

Wo stehst du innerhalb dieses Gefüges?

Meine Politik ist einfach. Die Sichtbarkeit nimmt ein Stück Unterlegenheit, und ich sage mir: Raus mit der Produktpalette, raus mit den Bildern. Aber das alles unterliegt einer Qualitätskontrolle. Wenn es Scheiße ist, reicht es einfach nicht, dass man Kanake ist. Schluss mit dem Ausländerbonus!

Aber es lebt sich manchmal ganz gut mit der Etikette. Dir hat sie letztendlich auch genützt.

Es hat eine Verschiebung vom Multikulti zum Soziokulti gegeben. Manch einem dämmert, dass man es nicht mit abgekoppelten Reservaten zu tun hat. Diese Verhältnisse und diese Politik hier in Deutschland sind nicht spurlos an den Einwanderern vorbeigegangen. Das mag wenig sein, aber damit steht und fällt die Berechtigung für viele Experten, sich über die Gewaltfrage unter türkisch- und kurdischstämmigen Jugendlichen auszulassen. Irgendwann stellen sie fest, dass es sich unter deutschen Aussiedlern genauso verhält.

Das heißt, es ist eine soziale Frage und nicht ein ethnische?

Es ist ein Schichtenproblem, aber die Politik benutzt es zu ihren Zwecken. Jeder, der in Identitätstheorie bewandert ist, spricht irgendwann von der Ethnisierung der Politik. Die Menschen haben das am eigenen Leibe gespürt. Wenn ein verdammter Rüttgers eine Kampagne „Kinder statt Inder“ startet und dann auf Missverständnisse hinweist und sagt: „Gut, die Kampagne ist abgeschlossen“, dann ist diese Kampagne für die hier lebenden Ausländer noch lange nicht abgeschlossen. Die erfahren das am eigenen Leibe in all diesen Alltagsrassismen. Mit der Ethnie wurde und wird Politik gemacht.

Das Interview fand statt im Rahmen einer literarischen Soirée des Weltenbürger Vereins, einer Stiftung der Volkswagen Kommunikation.Sämtliche Bücher Zaimoglus – „Kanak Sprak“ (1995, 29,80 DM), „Abschaum“ (1997, 24,80 DM) und „Koppstoff“ (1998, 19,80 DM) – sind beim Rotbuch Verlag Hamburg erschienen. Der neue Roman, „Liebesmale, scharlachrot“, kommt dort im September heraus.Eine Anthologie deutscher Literatur „nichtdeutscher“ Herkunft ist gerade beim Fischer Verlag erschienen:„Morgen Land. Neueste deutsche Literatur“. 302 S., 19,90 DM

Zitate;

„Ich bin so falsch wie alle anderen Leute mit gebrochener Identität auch“„Wenn etwas Scheiße ist, reicht es einfach nicht aus, dass man Kanake ist“