Neue grüne Atom-Opposition

Heute tritt in Berlin erstmals die „Atompolitische Opposition bei den Grünen“ an die Öffentlichkeit

BERLIN taz ■ Für die Vorsitzende der niedersächsischen Grünen, Heidi Tischmann, ist es ein „Zufall zur rechten Zeit“. Der Zufall will es, dass mitten in der neu aufgeflammten Debatte um die Hanauer Plutoniumfabrik heute in Berlin erstmals die „Atompolitische Opposition bei den Grünen“ vor die Presse tritt. Der Termin war lange geplant, nun aber dürfte er mehr als eine Randnotiz in den Medien werden.

Hartwig Berger, Sprecher des Energiepolitischen Ratschlags in der Bundespartei, sieht die von ihm mit ins Leben gerufene Initiative als einen Testfall: „Es wird sich zeigen, wie viel Interesse das Thema Atompolitik noch bei den Grünen hervorruft.“ Berger, seit Jahren Abgeordneter im Berliner Landesparlament, gehört zu jenen in der Partei, die gegen den Atomausstieg votierten. Seit dem Münsteraner Parteitag, auf dem die Restlaufzeit von 30 Jahren für die Atomkraftwerke in Deutschland beschlossen wurde, hat er bei vielen Mitstreitern Resignation feststellen müssen. Der jedoch gelte es verstärkt entgegenzuarbeiten. Denn das Problem wird auch durch das Ausstiegsszenario aus Sicht Bergers nicht kleiner, sondern größer: „Es fällt mehr radioaktiver Müll an, wir werden weitere Zwischenlager bekommen.“

Mit der „Atompolitischen Opposition bei den Grünen“ bildet sich die zweite innerparteiliche Gruppierung gegen den Mehrheitskurs heraus. „BasisGrün“ war die erste, die 1998 als informeller Zusammenschluss ins Leben gerufen wurde. Sie will Alternativen „zur vorherrschenden Politik“ diskutieren, wie es in einer Selbstdarstellung heißt. Größeren Zulauf erhielt die Gruppe nach dem Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg. Mittlerweile hat sie sich auch einen organisatorischen Rahmen gegeben und verfügt über einen Sprecherrat.

Die „Atompolitische Opposition“ ist hingegen ein relativ neuer Zusammenschluss. Erstmals trafen sich die Initiatoren Mitte Juli in Hannover. Die Wahl des Ortes war kein Zufall, hatte doch der niedersächsische Landesverband vor dem Parteitag in Münster geschlossen seine Ablehnung des Ausstiegsmodells beschlossen. 13 Mitstreiter kamen zusammen, neben Tischmann und Berger auch die frühere Bundesvorsitzende Antje Radcke und die frühere Bundestagsabgeordnete Ursula Schönberger.

Bereits zwei Tage nach ihrem Treffen äußerten sich Tischmann, Berger und Radcke in einer gemeinsamen Erklärung zur Plutonium-Anlage in Hessen. Es dürfe „keine Exportgenehmigung für die Hanauer Fabrik nach Russland geben“, heißt es kategorisch in ihrer Presseerklärung. Ihr alternativer Vorschlag: Die Bundesrepublik solle Russland finanzielle Unterstützung gewähren, um die Immobilisierung, die Verglasung, des waffenfähigen Plutoniums sowie dessen Endlagerung zu ermöglichen.

Ähnliche Forderungen hatte auch der Bundesvorstand der Grünen Ende Juli in einem Antrag gestellt. Dieser war von der energiepolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion, Michaele Hustedt, formuliert und von einer Reihe der grünen Bundestagsprominenz (darunter Angelika Beer, Helmut Lippelt, Winfried Nachtweih) mit getragen worden. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, „alle Möglichkeiten zu nutzen“, um den Export der Hanauer Anlage „zu verhindern“. Diese Formulierung ist Berger zu „weich“, und auch Tischmann wünscht sich eine klarere Aussage.

Dass Hanau ein heikles Thema werden würde, hatte sich schon im März auf dem Karlsruher Parteitag abgezeichnet. Joschka Fischer, der kurz zuvor wegen der Finanzhilfen der Bundesregierung für ein chinesisches Kernkraftwerk in die Kritik geraten war, hatte den Delegierten reinen Wein eingeschenkt. Russland sei interessiert, die Anlage in Hanau abzubauen und auf dem eigenen Territorium in Betrieb zu nehmen. Ein klares Nein falle ihm schwer, da mit der Anlage waffenfähiges Plutonium beseitigt werden solle: „Kreative Lösungen sind erbeten.“

Die „Atompolitische Opposition“ bei den Grünen verlangt aber von den grünen Ministern ein klares Nein. Andernfalls, so Berger, drohe die „Wiederbelebung der Atomwirtschaft“. In Russland aufbereitete Brennelemente landeten womöglich am Ende in deutschen AKWs. Der Streit wird die Grünen wohl so schnell nicht loslassen. Am 23. September will sich die Initiative in Gorleben offiziell gründen. An diesem Tag wird vor dem Endlager für Atommüll demonstriert.

Und wie es der Zufall so will, trifft sich am selben Tag in Berlin „BasisGrün“ zu seiner Jahresversammlung.

SEVERIN WEILAND