„Nicht erst auf Hakenkreuze reagieren“

Sachsen-Anhalts Kultusminister Harms bezweifelt, dass man Skins in Sozialkunde belehren kann. Die ganze Schule muss für tolerantes Klima stehen

Wir sehen mancherorts eine kulturelle Hegemonie rechten Verhaltens

Interview von CHRISTIAN FÜLLER

In Dessau haben junge Männer, zwei von ihnen erst 16 Jahre alt, einen Menschen wegen seiner Hautfarbe getötet. Fühlen Sie sich machtlos gegen rechte Jugendliche aus „Ihren“ Schulen?

Gerd Harms: Ich bin erschrocken über die emotionale Brutalisierung. Ich frage mich, was in den Köpfen junger Leute vorgeht, die jemanden töten und dann ohne Bewegung im Gerichtssaal sitzen. Machtlos fühle ich mich insofern, als ich keine Eingriffsmacht habe, um Schule direkt zu verändern. Ich kann nur mit Programm, mit Meinungsäußerung und Geld reagieren.

Bei der Landtagswahl 1998 wurde die DVU unter den Erstwählern die stärkste Partei. Was hat die Landesregierung danach gegen den Rechtsextremismus unternommen?

Wir haben das Konzept „Weltoffenes Sachsen-Anhalt“ ins Leben gerufen. Als Träger fungiert unter anderem der Verein „Miteinander e.V.“, der gemeinsam mit regionalen Akteuren Handlungsansätze gegen rechts entwickeln will. Alle Regierungsmitglieder haben sich an Runden Tischen beteiligt – ich selbst in Wittenberg und Quedlinburg.

Sitzen da Schüler und Lehrer mit am Tisch?

Es sind Eingeladene da: Schülervertreter, Lehrer, aber auch Bürgermeister, Polizisten, Staatsanwälte, Pfarrer, die Handelskammer und so weiter. In diesen Runden zeigt sich zugleich, wie schwierig der Ansatz ist. Es treffen sich die Gutmenschen – und die sind sich schnell einig. Das in Handlung umzusetzen ist etwas anderes. Beim Thema Schule hatten wir zwei Schulen am Tisch, die in ihrer Praxis gezeigt haben, wie es gehen kann.

Was machen diese Schulen gegen die rechte Alltagskultur?

Die ganze Schule muss für ein Klima des Miteinander einstehen. Es dürfen sich nicht nur einzelne Lehrerinnen und Lehrer aufreiben. Etwa wenn sie sich auf dem Schulhof gegen Gewalt wenden, gegen rechte Parolen und die Verwendung von Kennzeichen rechtsextremer Organisationen – während andere Lehrkräfte darüber hinwegschauen. Das zweite ist, dass das Sympathisieren mit rechten Parolen nicht als reine Unterrichtsfrage begriffen wird. Schule ist mehr als das Abhalten von Unterricht. Lehrkräfte dürfen nicht nach 45 Minuten das Klassenbuch zuklappen und sagen das war’s. Der dritte Punkt ist, dass die Auseinandersetzung mit gewaltfreier Erziehung in einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit mündet – in der Lehrkräfte und Schüler Kooperation und Teamwork erleben.

Das gilt für alle Schultypen?

Nein, es gibt keinen Koffer, den man aufklappt und sagt: „Hier sind die Instrumente gegen Rechts.“ Ich kann auf Viertklässler, die irgendetwas nachplappern, was sie zu Hause gehört haben, ganz anders pädagogisch reagieren als auf Zehntklässler, die sich an der örtlichen Skinheadszene orientieren.

Welchen Eindruck haben Sie von der Situation in den Schulen Sachsen-Anhalts?

Ich komme viel herum. Was ich sehe sind Schulen, die es schaffen, ein Klima zu entwickeln, in dem Toleranz wächst. Das ändert noch keine politischen Einstellungsmuster in den Familien. Aber Schule kann einen Beitrag leisten, Schüler zu selbstbewussten Individuen zu erziehen.

Sie wissen, dass das nicht die Regel ist.

Ja. Ich komme leider auch in Schulen, wo die Lehrer verängstigt vor ihren Klassen stehen. Wo Schüler auch mir gegenüber ihre Vorurteile rauslassen. Wo erkennbar ist: Darauf hat offenbar noch nie jemand reagiert.

Die Schüler zeigen Ihnen, dass sie rechtsextrem sind?

Es geht gar nicht um Rechtsextremismus in Reinform. Was mir viel mehr Sorgen bereitet, sind autoritäre Einstellungsmuster. Über 20 Prozent der Jugendlichen hängen dem an.

Wie groß ist die Skinhead-Szene?

Untersuchungen zeigen, dass Sympathien für rechte Subkulturen wie Skinheads seit 1996 zunehmen – der Anteil stieg von sechs auf zwölf bis fünfzehn Prozent unter den Jugendlichen. Wir registrieren zudem eine neue gefährliche Strategie. Zahlenmäßig klein, aber ideologisch gefestigt, treten manche Gruppen nun gemäßigt auf. Das ist vergleichbar mit jüngeren NPD-Demonstrationen: Man mimt den geordneten Block, die Autonomen provozieren – dann lässt man sich von der Polizei schützen.

Dafür ist wohl eher der Innenminster zuständig.

Nein, Sie können das nicht nach „Zuständigkeiten“ sortieren. Eine Schule, die versucht, sich anders zu verhalten, toleranter, offener, die wird das innerhalb eines fremdenfeindlichen Umfelds nicht durchhalten können. Die Eltern und die kommunal Verantwortlichen müssen mitziehen, sonst bleibt die Schule im Klima des Wegschauens hängen.

Besteht die Gefahr, dass die Skins die dominierende Gruppe werden?

Was wir im Moment in Teilen feststellen, ist das Herausbilden einer Art Hegemonie rechtslastigen Denkens und Verhaltens. Kahlgeschorene Schädel, eine bestimmte Musik, ein stramm-autoritäres Auftreten – das alles sickert auch in Gruppen jüngerer Jugendlicher ein. Daraus resultieren noch keine stabilen politischen Einstellungen. Aber dem ist schwer entgegenzutreten. Auch pädagogisch. Sie versuchen ja eine Subkultur, die sich ohnehin schon gegen herrschende Normen richtet, durch Aktivitäten des Staates, der Lehrer usw. einzuschränken. Das heißt, sie provozieren das Protestmoment möglicherweise erst.

Warum tut sich Schule im Unterricht so schwer mit verfestigten rechten Gedankenstrukturen?

Sie können nicht jemandem, der einer straff rechten Ideologie anhängt, im Sozialkundeunterricht argumentativ nachweisen, dass er sich irrt. Das funktioniert so nicht. Was sie allerdings können, ist ein Klima des Respekts, der Toleranz und des friedlichen Miteinanders zu pflegen – um dadurch eine generelle Präventionswirkung zu entfalten.

Adorno schrieb, eine „Erziehung nach Auschwitz“ müsse zwingend eine bestimmte Art des Schulemachens definieren. Was bedeutet der Terminus im Osten?

Es gibt keinen Koffer mit fertigen Instrumenten gegen Rechtsextreme

Manche Lehrer im Osten Deutschlands reagieren abweisend auf die Integration von Holocaust-Education in die Rahmenpläne. „So etwas brauchen wir nicht, das haben wir gelernt“, heißt es dann. Das geht häufig einher mit einer Art Belehrungspädagogik – die bei den Jugendlichen nicht ankommt. Bei der Erziehung nach Auschwitz geht es auch um eine Schule, die durch ihre Struktur und ihren Umgang autoritäre Muster ablehnt – wie Hartmut von Hentig mit der Bielefelder Laborschule gezeigt hat.

Die allermeisten Schulen in Deutschland hat die mit Projekten und selbstbestimmtem Lernen arbeitende Laborschule nicht verändert. Nicht wenige Pädagogen sagen, Schule ist immer noch eine Repressionsagentur.

Da wäre ich ein bisschen vorsichtiger in der Einschätzung. Auch in normalen Schulen hat man noch viel Spaß. Aber es ist richtig, dass die deutsche Schule das anstaltsmäßige nie so richtig losgeworden ist.

Und im Osten sieht die Realität so aus: Viele neue Lehrer geben auf angesichts der nur auf Härte ansprechenden Jungmänner – und die Rektoren geben klein bei.

Nein, sie werden diese autoritäre Schule in Reinform schwerlich verorten können. Die Wahrheit ist vielfältiger. Ich kenne etwa hervorragende Beispiele von Frontalunterricht. Witzige und intelligente Lehrer, die sagen: Ich erzähle euch mal, was ich weiß. Die Schüler haben ja auch ein Recht auf einen anständigen Lehrervortrag. Sie haben aber ebenso den Anspruch darauf, selbständig ihre Fähigkeiten und ihre Kreativität zu entwickeln. Ein guter Lehrer ist, wer diese Vielfalt bieten kann – wenn er Glück hat in einer Schule, die das zum Programm erhebt.

Wenn ich den frisch diplomierten Politikwissenschaftler und Pädagogen Gerd Harms 1978 gefragt hätte, was er gegen eine rechte Hegemonie, gegen Gewalt von rechts tun wird, was hätten Sie geantwortet?

Ich glaube, ich hätte gedacht, ich muss die antifaschistische Bewegung stärken.

Vielleicht hätten sie ja auch gesagt, ich muss eine antifaschistische Schule gründen. Wie sähe die aus?

Sie hätte ein Kollegium, das sich seiner Verantwortung bewusst ist. Das selbst eine Verständigung über die Art des Arbeitens herbeiführt – man nennt das heute Schulprogramm. Dazu würde gehören, dass man generalpräventiv arbeitet. Und nicht erst reagiert, wenn das Hakenkreuz in die Schulbänke geschnitzt wird. Das beginnt beim Umgang miteinander und endet bei einer historischen Bildung, die Verantwortllichkeit und ethische Orientierung beeinflusst. Ich hätte versucht, die Schule in die Kommune hinein zu öffnen. Leute in die Schule zu holen, die authentisch berichten. Neben Lehrerstellen bräuchte es Honorarmittel, um mit Fachleuten von draußen Projekte zu machen, bei denen die Schüler andere Erfahrungen des Lebens kennen lernen. Und ich würde mit den Kindern einen Kodex des Umgangs aufstellen wollen. Also keine Hausordnung von oben erlassen, sondern gemeinsam eine Verhaltensnorm beschließen.