„Wir brauchen Kontinuität“

Die Ausländerbeauftragte von Kreuzberg kämpft für interkulturelle Erziehung, ihre Kolleginaus Hohenschönhausen gegen den rechten Mainstream im Bezirk. Ein Gespräch über Pubertätund Alltagsrassismus, fehlenden politischen Willen und die Sehnsucht nach Beständigkeit

Interview JULIA NAUMANN
und SABINE AM ORDE

taz: Derzeit wird viel über Rechtsextremismus und Rassismus diskutiert. Wie sieht die Situation in Ihren Bezirken aus?

Bärbel Olhagaray: Wenn man an Hohenschönhausen denkt, denkt man an Plattenbauten. Und Plattenbaubezirke sind für viele gleichbedeutend mit rechten Jugendlichen. Vermehrte Übergriffe auf Ausländer hat es bislang in Hohenschönhausen aber nicht gegeben, auch Treffpunkte der rechtsextremen Szene gibt es nur wenige. Was es aber gibt, ist ein rechter Mainstream in der Bevölkerung – nicht nur bei Jugendlichen.

Wie äußert sich der?

Olhagaray: Zum Beispiel wenn Jugendarbeiter mich bitten, ausländische Jugendliche, die in ihre Einrichtung kommen, doch besser in ein Projekt speziell für Migranten zu integrieren, weil sie Probleme mit den deutschen Jugendlichen befürchten. Oder wenn die Polizei bei der Aufnahme eines simplen Verkehrsunfalles einen Ausländer abfällig behandelt. In einem konkreten Fall habe ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Beamten eingeleitet. Innerhalb kurzer Zeit gab es dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Verunglimpfung von der Polizei gegen mich.

Hildegard Josten: In Kreuzberg hat jeder Dritte keinen deutschen Pass, bei uns ist die Situation also eine ganz andere. Es gibt keine Treffpunkte von Rechtsradikalen. Sie trauen sich nicht in den Bezirk. Kreuzberg ist ein Bezirk, der sich zu wehren weiß. Das hat sich auch bei der Demonstration der NPD im Frühjahr gezeigt, die ja auch durch Kreuzberg führen sollte. Gegendemonstranten haben verhindert, dass die NPD nicht durch Kreuzberg marschieren konnte, das hat mich sehr gefreut. Bei uns ist die Debatte eine andere: Wir haben mit den Auswirkungen von Rechtsextremismus zu tun. Oft haben Migranten Angst in die Ostbezirke zu ziehen, ihre Kinder dort zur Schule gehen zu lassen.

Frau Olhagaray, Ihr Bezirk hat eine Studie über Rechtsextremismus in Hohenschönhausen veröffentlicht. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Olhagaray: Ein Schlüsselereignis für die Arbeit im Bezirk war diese zwangsverfrachtete NPD-Demo vor zwei Jahren, die eigentlich am Brandenburger Tor stattfinden sollte. Kurze Zeit später entstand das „Bündnis gegen Rechts“, in dem schnell klar wurde, dass wir strukturelle Informationen brauchen. Wir haben beim Rechtsextremismusexperten Bernd Wagner und dem Zentrum für Demokratische Kultur eine Studie in Auftrag gegeben. Ein Ergebnis ist, dass die Mitarbeiter im Bereich Jugend und Bildung auch an Weiterbildungsprogrammen teilnehmen, um besser mit den Erscheinungsformen des Rechtsradikalismus umgehen zu können. Dazu gehört auch die Wagenburgmentalität, die in Hohenschönhausen herrscht: Wir schotten uns ab und lassen nur die rein, die so sind wie wir.

Gibt es weitere Ansätze?

Olhagaray: Ja, es gibt inzwischen eine Bürgersprechstunde, in die Eltern gehen können, die mit ihrem Sohn Probleme haben oder denen aufgefallen ist, dass sich Rechte auf einem speziellen Spielplatz treffen. Der dritte Schwerpunkt wird der Fußballclub BFC Dynamo sein, der Probleme mit rechtsradikalen Hooligans hat und ein Fanprojekt starten will.

Was können Ausländerbeauftragte gegen Rassismus und Rechtsextremismus tun?

Olhagaray: Das Thema Rechtsextremismus ist an meinen Arbeitsbereich gebunden. Ein besonderer Blickpunkt ist dabei die Fusion mit Lichtenberg. Rechter Mainstream und gefestigte Organisationsstrukturen sind eine brisante Mischung. In Sachen Rassismus arbeiten wir an einer interkulturellen Öffnung in den Ämtern, obwohl es bei uns im Vergleich wenig Äusländer gibt.

Josten: In den Verwaltungen muss eine Menge gemacht werden, da fühlen sich viele Menschen diskriminiert. Bei uns gibt es viele Ängste in Bezug auf die Bezirksfusion. Übrigens nicht nur von Kreuzbergern. Die Friedrichshainer befürchten, dass die Ausländer ihren Bezirk überrennen. Wir müssen aufeinander zugehen und uns langsam kennen lernen. Für die Kreuzberger Verwaltung bieten wir schon seit einiger Zeit ein interkulturelles Training für die Mitarbeiter an, dazu gehören auch Informationsveranstaltungen zu den Herkunftsländern. Unsere Auszubildenden fahren in unsere Partnerstadt in der Türkei. Meist kommen sie mit einem ganz anderem Bild zurück.

Mit welchen Problemen kommen die Menschen in Ihre Sprechstunde?

Josten: In erster Linie haben sie aufenthaltsrechtliche Probleme. Viele aber auch Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Nachdem die Leute Vertrauen in mich gefasst haben, erzählen sie, wie sie in den Behörden behandelt worden sind. Oft wollen sie aus Angst vor Benachteiligung keine Namen nennen. Ich versuche dann, sie zu ermutigen und den Vorgang mit den betreffenden Sachbearbeitern zu klären.

Olhagaray: Ein Beispiel: Ich betreue gerade eine Vietnamesin, die eingebürgert ist und einen deutschen Mann hat. Sie wird von ihrer Nachbarin intensiv gemobbt. Sie wird beschimpft mit: Du Hure, wir werden dafür sorgen, dass du zurück nach Vietnam musst. Beide haben sich gegenseitig angezeigt, werden aber völlig unterschiedlich behandelt. Die Vietnamesin hat bereits nächste Woche ein Verfahren wegen angeblicher Körperverletzung. Ob ihre Anzeige zum Verfahren führt, ist noch unklar.

Josten: In Kreuzberg gibt es natürlich auch verbale Angriffe. Aber hier sind sie nicht so laut. Man traut es sich nicht so sehr. Die verbalen Angriffe gehen allerdings von beiden Seiten aus. Das hat auch etwas mit Pubertät und vielleicht auch Unterprivilegierung zu tun.

Was könnte zusätzlich auf bezirklicher Ebene getan werden, um Rassismus zu bekämpfen?

Josten: Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen in der Kindererziehung ganz früh damit anfangen. Wir führen gerade in fünf Kindertagesstätten ein Modellprojekt durch: Erziehung gegen Rassismus und für Toleranz. Das ist ein Ansatz aus den USA, der versucht, gegen Vorurteile vorzugehen. Erzieherinnen werden in die Lage versetzt, mit Kindern ganz unterschiedlicher Herkunft zu arbeiten und ihnen zu vermitteln, dass ihre Unterschiede etwas ganz Normales sind. Es gibt Spielzeug, das genau darauf ausgerichtet ist. Es ist ein ganzes Paket von pädagogischen Maßnahmen, das auch noch weiter entwickelt wird. So ein Ansatz muss aber an den Schulen fortgesetzt werden und vor allen Dingen durchgängig sein. Er muss in die Ausbildung von Erziehern und die Studienordnung bei Lehrern integriert sein.

Aber das ist doch eine Utopie, wenn so etwas noch nicht mal kontinuierlich in Kreuzberg funktioniert . . .

Josten: Sie wissen gar nicht, wie satt ich diese Modellprojekte habe. Das, was wir als Modell praktizieren, sollte längst die Regel sein. Ein generelles Umdenken ist aber politisch nicht gewollt, sonst gäbe es längst Kontinuität. Wir brauchen endlich Kontinuität. Zum Beispiel in den Schulbüchern. Was sieht man da für Kinder auf den Fotos? Warum werden keine Geschichten von berühmten türkischen Autoren abgedruckt? In jedem Fach gibt es Möglichkeiten, den Unterricht interkulturell zu gestalten.

Olhagaray: Einwanderung muss endlich als etwas Normales begriffen werden. Es ist eben nicht so, dass, wenn ein Mensch eingewandert ist, egal ob als politischer Flüchtling oder im Zuge des Familiennachzuges, Integrationsschritte eingeleitet werden. Stattdessen wird von den offiziellen Stellen geblockt. Meiner Meinung nach brauchen wir ein gutes Einwanderungsgesetz. Und ein durchgängiges Integrationskonzept . . .

Nutzt dafür die aktuelle Debatte um Rechtsextremismus und Zivilcourage? Und kommt sie bei den Bürgern an?

Olhagaray: Als Anfang der 90er-Jahre die Übergriffe in Rostock und Hoyerswerda waren, hat es auch ein breite Debatte gegeben. Aber die war schnell wieder vorbei. Jetzt gibt es wieder eine Debatte. Ich wünsche mir, dass sie erhalten bleibt. Ich merke, dass viele Menschen plötzlich über dieses Thema sprechen. Das war vorher nicht so.

Josten: Das Reden allein nutzt aber nichts. Die Konzepte für ein gemeinsames, gleichberechtigtes Leben sind das Entscheidende. Es bedarf einer Neupositionierung in der Arbeit: Es ist nicht das Problem, dass wir zum Teil nur noch 10 Prozent Deutsche in den Kitas haben, sondern wie wir mit der Vielfalt umgehen. Das hat gar nicht so viel mit Geld zu tun, sondern mit Umdenken, mit einem anderen Herangehen, einer neuen Sichtweise.

Es sieht so aus, als wäre Ihre alltägliche Arbeit ganz verschieden. Gibt es gemeinsame Vorstellungen?

Olhagaray: Mein Wunsch ist es, dass wir endlich von diesem Bergriff Ausländerbeauftragte wegkommen. Ich sehe mich eher als Kulturdolmetscherin, egal woher diese Kulturen kommen. Das Berufsbild der Ausländerbeauftragten stammt aus den 70er-Jahren, als man noch davon ausging, dass die Menschen nur für kurze Zeit bleiben. Davon sollten wir uns verabschieden. Wir sind inzwischen in der Entwicklung viel weiter. Auch wenn das vom Senat und manchen Bezirken nicht gesehen wird.

Was meinen Sie damit?

Olhagaray: Wir haben Bezirke mit hohem Ausländeranteil wie Neukölln, Steglitz, Reinickendorf, die keine Ausländerbeauftragte haben. Im Osten dagegen gibt es in allen Bezirken zwar wenig Ausländer, aber Ausländerbeauftragte. Das ist ein Ergebnis des demokratischen Aufbruchs nach der Wende.

Josten: Wir sind alleine, und unsere Kapazitäten sind begrenzt. Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich Anregungen in die Verwaltung gebe, aber auch in die Vernetzung von Migrantenprojekten. Eigentlich müsste es inzwischen selbstverständlich sein, in Überlegungen des Amtes die Sicht von Migranten miteinzubeziehen. Auch bei den Stellenbesetzungen: Da müssen Leute eingesetzt werden, die den anderen kulturellen Background miteinbeziehen. Das ist immer noch nicht selbstverständlich. In dieser Beziehung habe ich das Gefühl, dass ich nur langsam weiterkomme. Oft sind es zwei Schritte vor und ein Schritt zurück.

Nehmen wir an, Sie könnten drei Dinge in Ihrem Bezirk verändern. Was würden Sie tun?

Josten: Ich würde bei der Kinder- und Jugendarbeit ansetzen, gute Bildung schaffen, die beste, die wir kriegen können. Und darauf müssen wir dann aufbauen, das ist unsere einzige Chance. Wir brauchen ein gut durchdachtes Konzept von der Kita bis zur Ausbildung, interkulturelle Erziehung nicht nur im Sinne der Sprachförderung. Die ist natürlich sehr wichtig – wer hier Chancen haben will, muss gut Deutsch sprechen –, aber es geht darüber hinaus. Ich bin dafür, für Neuzuwanderer verpflichtende Deutschkurse anzubieten. Gleichzeitig muss es Gesellschaftskunde geben. Die Leute müssen lernen, wie die Bundesregierung funktioniert, was eine Kita ist. Eine Einführung in das gesellschaftliche System sollte kombiniert werden mit einer differenzierten Berufsvorbereitung. Bei der Sprachförderung sitzen heute vom halben Analphabeten bis zum Hochschulabsolventen alle in einem Kurs. Das kann nichts werden.

Olhagaray: Wenn ich meine Klientel in Hohenschönhausen im Auge habe, dann müssen sich meine Forderungen eher an die Landes- und Bundespolitik richten. Wichtig ist, was ja auch bereits in der Diskussion ist, dass Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis bekommen und dass die Unterbringung in Wohnheimen aufhört. Und die zwei Migrantenprojekte, die es Hohenschönhausen gibt, sollten nicht nur Personal vom zweiten Arbeitsmarkt bekommen, sondern Festangestellte.

Und was ist mit dem rechten Mainstream?

Olhagaray: Da wünsche ich mir, dass das Bündnis der demokratisch Gesinnten tragfähig wird. Dann ist der rechte Mainstream einzugrenzen.