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: WLADIMIR KAMINER über seine Nachbarn

Multihaus

Die allein stehende Frau mit dem schwarzen Pudel, die Zigeuner-Röcke trug und lange, dünne Zigaretten rauchte, ist ausgezogen. Kein Theater mehr im Treppenhaus. Jedesmal, wenn wir uns zufällig dort begegneten, lächelte sie mir so geheimnisvoll zu, als ob wir eine Affäre miteinander hätten. Doch genau so schaute sie auch die Vietnamesen aus dem Gemüseladen an, wenn sie im Erdgeschoss einkaufen ging. Nun ist die Frau weg.

Zweimal musste der Lkw hin und her fahren. Übrig blieb: eine von ihrem Pudel zum Teil zerfetzte tropische Pflanze in einem Tontopf, eine Chromnickelstahl-Stehlampe mit gelbem Plastikschirm und eine Kiste mit Küchengeschirr. Das alles stand als eine Art Installation zum Thema „Großstadtmüll“ im Hof und ließ mich an solch unangenehme Dinge wie Verfall, Verwüstung, Leiden und Tod denken. In die leere Wohnung zogen sofort die Vietnamesen. Sie expandierten. Die Familie aus dem Gemüseladen hatte schon immer eine Wohnung über uns. Die Besitzer des Textilienladens nebenan, die mit dem lustigen Spruch „Textilien: billig und günstig“ werben, werden nun unter uns wohnen. Ich kenne sie bereits. Früher saßen sie ständig vor ihrem Geschäft, tranken Tee und taten nicht einmal so, als ob sie wirklich die 600 Badelatschen in der Auslage verkaufen wollten.

Von den zwölf Wohnungen in unserem Haus besitzen die Deutschen nur noch vier: der dicke alte Mann im ersten Stock, der jeden Tag vor dem Haus sitzt und scheinbar auf die Straßenbahn wartet, aber niemals wegfährt. Dann eine sportliche Dame, die ihr Motorrad mit in die Wohnung nimmt. Außerdem die ganz alte Tante neben uns, die uns für Bulgaren hält und jedesmal mit mir über Sofia reden will, obwohl ich ihr schon mehrmals gesagt habe, dass ich noch nie dort gewesen bin. Und im Dachgeschoss ein Mann ohne Alter, mit dem Gesicht eines Massenmörders und einer kolumbianischen Frau. Dazu gibt es noch die Russen, eine islamische Gruppensexfamilie und die Latino-WG.

Was unser Haus von anderen unterscheidet, ist ein ganz besonderer Geruch. Ich würde sogar behaupten, es ist ein einmaliger Geruch. Am besten kann man ihn so gegen drei Uhr riechen. Wenn die Vietnamesen von oben und die von unten anfangen, ihren angefaulten Fisch zu frittieren, die alte Dame von nebenan ihre Kohlsuppe auf den Herd stellt, die Türken ihre Lammbrocken braten und die Latinos mit „Guantanamera“ für die musikalische Begleitung des Mittagessens sorgen.

Neulich bekam ich einen Anruf von der „Abendschau“. Ein Journalist erkundigte sich höflich, ob er mit einem kleinen Fernsehteam bei mir vorbeischauen dürfte: „Wir brauchen dringend für morgen irgendetwas zum Thema Russen in Berlin.“ „Was ist denn passiert?“, fragte ich. „Na ja, der russische Präsident kommt wahrscheinlich bald wieder nach Deutschland, dann noch diese Geschichte mit U-Boot und überhaupt ... Wir kommen um drei und verschwinden um vier.“ Ich bin inzwischen schon fast ein Profi auf diesem Gebiet geworden und kann sogar im Schlaf eine klare Einschätzung zum Thema Russen in Berlin abgeben. Das Fernsehteam kam genau rechtzeitig zum Mittagessen. Der Kameramann wurde sofort aschgrau und musste sich die ganze Zeit ein Taschentuch vor die Nase halten. Der Journalist war mutig. „Haben sie eine Leiche in der Wohnung?“, fragte er. „Nein“, antwortete ich, „so riecht unser Haus mittags immer.“ „Und woher kommt das?“ „Das ist Multikulti!“, sagte ich verlegen. „Cool“, röchelte der Journalist.