„Magnet für Terroristen“

Massive Sicherheitsvorkehrungen sollen Terroranschläge bei Olympia verhindern, doch die Gefahr ist groß, dass die geballte Ordnungsmacht auch gegen friedliche Demonstrationen eingesetzt wird

aus Sydney JÜRGEN CORLEIS

Armee-Hubschrauber dröhnen im Formationsflug über den Hafen, auf U-Bahnhöfen wird vor unbeaufsichtigten Gepäckstücken gewarnt, und die Papierkörbe sind bereits abmontiert. Sydney bereitet sich auf die Olympischen Spiele vor, und mit ihr auf die Gefahr von Attentaten. „Die Spiele sind ein fast unwiderstehlicher Magnet für Terroristen“, sagte Polizeichef Peter Ryan schon vor einem Jahr.

Warnungen gab es zuhauf. Auch schlechte Scherze: Zwei Tage vor dem heutigen so genannten Lockdown, wo alle Sportstätten von den Sicherheitskräften abgeriegelt werden, wurde auf dem Bahnhof in Sydney Bombenalarm ausgelöst. Ein in Plastikfolie verpacktes Paket stellte sich aber als Attrappe heraus. Jüngst wurden in Neuseeland Pläne aufgedeckt für einen Anschlag auf das einzige Atomkraftwerk Australiens in Lucas Heights. Dies zeigt, die Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Aus den USA war schon vorher FBI-Direktor Louis Freeh angereist, um Maßnahmen gegen den saudischen Terroristen Ussama bin Laden abzusprechen, der mit dem vermeintlich geplanten Anschlag auf den Reaktor in Verbindung gebracht wird und schon Kundschafter geschickt haben soll. Gewarnt wird auch vor Verbrecherorganisationen wie den chinesischen Triaden sowie vor biologischen und chemischen Anschlägen.

Als sich Sydney im März 1992 um die Olympischen Spiele bewarb, galt es zu Recht als einer der sichersten Austragungsorte der Welt. Es gab bisher nur einen Bombenanschlag, vor rund 30 Jahren. Terror hat in Australien noch nicht Fuß gefasst, aber er ist – nach München und Atlanta – auch in Sydney 2000 nicht auszuschließen. Die Bewerbung versprach „wirksame, freundliche und unauffällige Sicherheit“. Auf die letzten beiden Attribute haben die Veranstalter inzwischen verzichtet. Zum ersten Mal ist das gesamte Olympiagelände von einem massiven Zaun umgeben, jeder Besucher und jede Tasche werden durchsucht, und Zutritt ist nur mit der Eintrittskarte für eine Veranstaltung möglich.

„Man hat mir gesagt, dass ich jeden Tag zwei Stunden für die Sicherheitskontrollen ansetzen muss“, sagt Bäckermeister Alex Schwartz, der morgens Brötchen anliefern wird. Er darf nur selbst fahren und keinen Vertreter schicken. Wie viele andere hält er die Sicherheitsmaßnahmen für übertrieben. Aber unter dem Motto „Sicherheit“ werden ja auch andere Zwecke verfolgt – der Ausschluss von Produkten, die in Konkurrenz zu den Waren der Sponsoren stehen oder deren Geschäft beeinträchtigen. Und das Fernhalten potenzieller Ruhestörer oder genauer gesagt: auch friedlicher Protestler, die auf irgendeinen Missstand aufmerksam machen wollen. In erster Linie die Ureinwohner.

Auf dem Olympiagelände und in allen anderen „Olympischen Gebieten“, zu denen große Teile der Stadt gehören, sind Demonstrationen verboten. Hohe Strafen bedrohen jeden, der Plakate oder Transparente mitführt oder auf Aufforderung nicht weitergeht. Das Parlament von Neusüdwales hat befristete Gesetze erlassen, die auch kaum ausgebildeten Hilfskräften größere Befugnisse erteilen, als sie die Polizei normalerweise besitzt. In den weit gefassten „Olympischen Gebieten“, zu denen auch das Opernhaus gehört, brauchen sich selbst zivile „Ordnungskräfte“ nicht auszuweisen oder Gründe für ihre Anordnungen zu geben. Nur IOC-akkreditierte Reporter dürfen Aufnahmen der damit vorprogrammierten Zusammenstöße machen. Für alle anderen Fotografen ist die Arbeit strafbar.

Doch Australiens Ureinwohner werden demonstrieren, und sie haben ausreichend Anlass. Die gegenwärtige liberal-konservative Regierung vertiefte den Graben zwischen den angloirischen Siedlern und den unterdrückten Aborigines. Ihre Forderungen auf moralische und finanzielle Wiedergutmachung treffen bei Premierminister John Howard und seinem Kabinett auf taube Ohren. Alle einflussreichen Vertreter der Ureinwohner haben sich dafür ausgesprochen, die Gelegenheit der Olympischen Spiele dafür zu nutzen, die Weltöffentlichkeit auf ihre andauernde Benachteiligung hinzuweisen. Aber wo? Auf dem Olympiagelände gibt es einen Eingeborenen-Pavillon, der sich verpflichten musste, nur Kunst zu zeigen und nicht politisch tätig zu werden. Die Olympia-Organisation lehnte bisher alle Anträge auf Raum für die Aborigines in und um das Olympia-Gelände ab.

Sie dürfen ein Zeltlager auf La Perouse errichten, einer verkehrsabgelegenen Halbinsel weitab von allen olympischen Ereignissen, aber damit sind die Aborigines nicht zufrieden. Stattdessen besetzten sie den Victoria-Park neben der Universität Sydney. Sie wollen ihn zum Ausgangspunkt für einen Marsch zum 10 km entfernten Olympiagelände machen, am 15. September, dem Eröffnungstag der Spiele. Ob sie bis dahin noch im Victoria-Park bleiben dürfen, ist sehr fraglich.

Australiens Innenpolitik richtet indes außenpolitischen Schaden an, und viele befürchten, dass das Arsenal zur Terroristenbekämpfung während der Spiele vor allem gegen friedliche Demonstrationen eingesetzt wird.