Behindert und vermögend? Pech gehabt!

■ Koalition will Landespflegegeldgesetz streichen / Behindertenverbände machen mobil

„Behinderte stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Der Staat fördert ihre gleichwertige Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. So lautet Artikel 2 Absatz 3 der Landesverfassung. Ein Gesetz, das helfen soll, Artikel 2 zu verwirklichen, soll nach Koalitionsplänen Sparzwängen geopfert werden. Es geht um das Landespflegegeldgesetz. Es existiert seit 1972 und regelt den „behinderungsbedingten Mehraufwand“. Schwerstbehinderte und Blinde bekommen bis zu 750 Mark monatlich. So finanzieren sie beispielsweise Hilfen für die Teilnahme am sozialen Leben, die beispielsweise Kino- oder Cafébesuche und Spaziergänge ermöglichen sollen. Dass dieses Gesetz abgeschafft werden soll, ist nicht neu. „Aber diesmal sieht es ernst aus“, sagt Horst Frehe vom Verein „Selbstbestimmt leben“.

Der Angelpunkt, an dem Kritiker und Befürworter des Gesetzes sich scheiden, ist die Einkommensunabhängigkeit. Egal, wieviel der oder die Betroffene verdient oder wie hoch das Vermögen ist, er oder sie bekommt die Leistungen des Landespflegegeldgesetzes als Ausgleich eines Nachteils, den er oder sie durch die Behinderung hat.

Das finden Behindertenvertreter nur gerecht. „Es geht nicht an, dass jemand nur etwas kriegt, wenn er arm ist“, sagt Horst Frehe.

Sozialressort und Koalitionsvertreter argumentieren hingegen mit Sparzwängen. „Wenn man wenig hat“, sagt Sozialstaatsrat Hans-Cristoph Hoppensack, „muss man sich konzentrieren auf die, die wenig Einkommen haben.“ Frank Pietrzok, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, spricht von der „prekären Finanzlage“, die zumindest die Einkommensunabhängigkeit der Leistungen fraglich mache. Rund 850 Menschen profitieren von dem Gesetz. 1,3 Millionen Mark an Ein-sparungen erhofft sich das Sozialressort von der Abschaffung.

Politik und Verwaltung finden außerdem, dass Leistungen aus der Pflegeversicherung einerseits und aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wie Eingliederungs- oder Blindenhilfe andererseits das Landespflegegeld überflüssig machen.

Pflegegeld, halten die Betroffenen dagegen, sei für die körperliche Pflege, nicht jedoch für die Anteilnahme am sozialen Leben gedacht. Derzeit werden Pflege- und Landespflegegeld miteinander verrechnet. Behinderte haben dagegen prozessiert. Mindestens die Hälfte des Landespflegegeldes muss nun erhalten bleiben; ein Urteil vom Oberverwaltungsgericht steht noch aus. Und die BSHG-Leistungen setzen wiederum die Bedürftigkeit voraus – gerade dagegen wehren sich die Betroffenen.

Das Sozialressort schwächt ab. Für Schwerstbehinderte sei eine Besitzstandsregelung geplant, nur neue Fälle sollen kein Landespflegegeld mehr bekommen. Und für Blinde soll eine Härtefallregelung gelten. Überdies wolle man rund 200.000 Mark aus den eingesparten Mitteln den Gehörlosen zugute kommen lassen – eine Gruppe, die im Landespflegegeldgesetz nicht berücksichtigt war. SPD-Mann Frank Pietzrok erklärt, es werde auf jeden Fall noch eine Anhörung der Verbände geben. Von der CDU war gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Die Fraktionssprecherin der Grünen, Karoline Linnert, plädiert für eine bundeseinheitliche Lösung und ergo für eine Bundesratsinitiative – denn auch andere Länder haben solche Gesetze, deren Überarbeitung ansteht. „Innovatives hatte in Bremen Tradition“, sagt sie, „schlimm, wenn es jetzt nur darum geht, wer am miesesten mit seinen Behinderten umgeht.“

Selbst die Behindertenverbände erklären das Gesetz für „antiquiert“, so Horst Frehe. Vor zwei Jahren haben sie einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der damals abgelehnt wurde. Musicalmillionen seien da, Geld für Gleichstellung nicht, moniert Matthias Weinert von der LAG Hilfen für Behinderte. Am 18. September kommt Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) zu einem Treffen. „Wir werden versuchen“, so Weinert, „noch mal Zähne zu zeigen.“ Susanne Gieffers