Leistung statt Förderung

Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Der Schulsenator will den Unterrichtsausfall verringern. Die Grundschule soll sich stärker um begabte Schüler kümmern und andere Förderprogramme abbauen

von JULIA NAUMANN

Kürzungszwang und Lehrermangel prägen das neue Schuljahr. Für pädagogische Konzepte und Bildungsdebatten bleibt da kein Platz. Immerhin hat Schulsenator Klaus Böger (SPD) es sich zum Ziel gesetzt, den Unterrichtsausfall wesentlich einzudämmen. 1998/99 fiel wegen Krankheit, Fachlehrermangel und Pensionierungen durchschnittlich 3,4 Prozent des Unterrichts ersatzlos aus. Im letzten Schuljahr sollen es nach ersten Schätzungen sogar fast 5 Prozent gewesen sein.

Staatssekretär Thomas Härtel (SPD) hofft, den Ausfall in den kommenden Jahren auf unter 1 Prozent zu drücken. In der Schulverwaltung ist man sich aber einig, dass das in diesem Schuljahr noch nicht zu schaffen ist. Zwar werden 500 dauerhaft erkrankte Lehrkräfte erstmals nicht in den Stundenplänen berücksichtigt, für sie stehen Ersatzkräfte bereit. Doch in diesem Jahr wurden insgesamt nur 768 Stellen geschaffen – durch die Aufstockung von Zwei-Drittel-Stellen und die Einstellung von 400 Junglehrern. Der Stellenplan insgesamt wurde nicht erhöht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ausgerechnet, dass in den Jahren 1999 und 2000 rund 2.600 Personen aus dem Schuldienst ausscheiden, während nur rund 1.380 eingestellt werden.

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Die Lehrer müssen von nächstem Montag an eine Stunde mehr arbeiten. Damit erspart sich die Schulverwaltung die Neueinstellung von 500 Lehrern. Um die Pädagogen im Gegenzug zu entlasten, soll in den Klassenstufen 7 bis 10 mindestens eine Klassenarbeit weniger geschrieben werden. So ist unter anderem geplant, dass die Schüler in der Mittelstufe weniger Arbeiten in Deutsch und Fremdsprachen schreiben. Die Entscheidung trifft die Gesamtkonferenz der Schule, in der Lehrer, Eltern und Schüler vertreten sind.

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Im kommenden Schuljahr stehen für die spezielle Förderung der Schüler nicht deutscher Herkunftssprache nur 734 Lehrerstellen bereit. Im vergangen Jahr waren es noch 762. Auch für die Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten stehen weniger Lehrer zur Verfügung als bisher – statt 141 nur noch 136.

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Für die Integration behinderter Kinder gibt es in den Grundschulen rund 20 Prozent weniger Geld. Bisher stand jedem „Integrationskind“ ein Lehrer für 5,5 Wochenstunden zur Verfügung, künftig werden es nur 4,5 Stunden sein.

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Die Schulverwaltung möchte Englisch in der Grundschule weiter fördern, stellt aber nach wie vor keine Mittel zur Verfügung. 71 Prozent der Grundschulen bieten Englisch im nächsten Schuljahr auf freiwilliger Basis schon ab der 3. statt ab der 5. Klasse an. Französisch wird dagegen nur an 35 Schulen unterrichtet. Weitere Schulen sollen nicht folgen, da der Schwerpunkt auf Englisch liegen soll.

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Erstmals können die Schüler in den 5. und 6. Grundschulklassen in einigen Fächern wie Deutsch oder Mathematik nach Leistung getrennt unterrichtet werden. Diese „äußere Fachleistungsdifferenzierung“ ist bisher freiwillig, soll aber ab dem Schuljahr 2001/2002 verpflichtend sein. Die Lehrerstunden, die dafür zusätzlich nötig sind, sollen bei den Förderstunden für leistungsschwache Schüler gekürzt werden. Auch Angebote des verpflichtenden Wahlunterrichts (WUV) in der 5. Klasse fallen deswegen weg. WUV wurde erst vor zwei Jahren als Teil der „Grundschulreform 2000“ eingeführt. Im WUV werden für zwei Stunden pro Woche eine weitere Fremdsprache, Technik oder Naturwissenschaften, aber auch Kochen oder Schauspiel angeboten. Es gibt keine Noten.

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Momentan sind 80 Prozent aller Schulen mit mindestens einem Internetzugang ausgestattet. Zum Ende diesen Schuljahres sollen es 93 Prozent sein. Insgesamt stehen während des Schuljahres 17, 5 Millionen Mark für Computeraustattung und Fortbildung zur Verfügung. 10 Millionen Mark davon stammen aus Lottomitteln.

  Als besonders problematisch wird die Wartung der Computer angesehen, da hierfür kaum Fachkräfte zur Verfügung stehen. Ab dem Schuljahr 2001/2002 soll ein Leistungskurs Informatik angeboten werden. Experten erarbeiten derzeit die Lehrpläne.

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Im nächsten Schuljahr soll es eine Entscheidung darüber geben, ob und wie der bislang freiwillige Religionsunterricht zum Pflichtfach wird. Die CDU und die Kirchen wollen einen „Wahlpflichtbereich“. Bei diesem Modell können die Schüler zwischen dem konfessionellen Religionsunterricht, Philosophie und Ethik wählen. Sie werden dann getrennt unterrichtet. Schulsenator Böger und die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus tendieren dagegen zum „Fenstermodell“. Dabei besuchen alle Schüler gemeinsam ein Fach Ethik/Philosophie. Innerhalb dieses Unterrichts sollen religiöse Verteter die Möglichkeit haben, bekennend ihre Religion zu vermitteln. Die SPD will sich im Frühjahr auf eine konkretes Schema und einen Fahrplan festlegen.

Bis dahin versucht die Schulverwaltung, den islamischen Religionsunterricht aus der Schule herauszuhalten. Die Rahmenpläne der Islamischen Föderation, die ab Montag in zwei Grundschulen im Wedding und in Kreuzberg Islamunterricht anbieten wollte, sind immer noch nicht genehmigt. Es gebe noch immer didaktische und pädagogische Unzulänglichkeiten, so die pädagogische Referentin des Schulsenators, Angelika Hüfner. Die Gleichstellung von Frau und Mann werde zu wenig behandelt. Außerdem müsse mehr vermittelt werden, dass der Unterricht allen Kindern, nicht nur den muslimischen, offen stehe. Die Islamische Föderation will die Rahmenpläne jetzt noch ein- mal von unabhängigen Pädagogen und Juristen begutachten lassen.

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Neben dem Religionsunterricht ist ein weiteres ehrgeiziges Projekt die Reform des Schulgesetzes. Bereits unter Bögers Vorgängerin Ingrid Stahmer (SPD) wurde ein Entwurf erarbeitet, der zwar öffentlich diskutiert, aber nicht auf den parlamentarischen Weg gebracht wurde. Ein neues „Eckpunktepapier“ will Böger im Spätherbst an die Fraktionen geben. Die Schwerpunkte sind die gleichen geblieben: Jede Schule formt ihr eigenes pädagogisches Konzept und bekommt zukünftig mehr Autonomie. Es wird außerdem eine Prüfung nach der 10. Klasse favorisiert. Ein Personalausschuss aus Schulleiter, Lehrern, Schülern und Eltern soll zukünftig über Einstellungen entscheiden. In diesem Punkt gibt es mit Streit mit der CDU, die das zukünftige Gesetz mittragen muss. Das Schulgesetz soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.