Keine Mehrheit – keine Minderheit

Im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien stellen Weiße erstmals nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung, dank eines neuen Rekords an Zuwanderung. Die Einwanderer kommen vor allem aus Mittel- und Lateinamerika sowie aus Asien

aus Washington PETER TAUTFEST

Jetzt ist es amtlich. Die weiße Mehrheit Kaliforniens ist zur Minderheit geworden. Von den 33 Millionen Einwohnern sind nur noch 49,9 Prozent Weiße. Dies hat das Statistische Bundesamt der USA jetzt bekannt gegeben. Diese Entwicklung ist einerseits das Ergebnis weißer Abwanderung, vor allem aber der Zuwanderung aus Mittel- und Lateinamerika sowie aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Die Latinobevölkerung Kaliforniens wuchs in den 90er-Jahren um 35 Prozent, die der Asiaten gar um 36 Prozent. „Wenn es keine Mehrheit mehr gibt“, sagt Kaliforniens stellvertretender Gouverneur Cruz Bustamente, „dann gibt es auch keine Minderheiten mehr. In Zukunft sind wir alle nur noch Kalifornier.“

Vergessen scheinen die bösen Zeiten, da eine Mehrheit in Kalifornien das infame Volksbegehren 187 verabschiedete, das – inzwischen allerdings für verfassungswidrig erklärt – 1996 illegale Immigranten von allen Sozialleistungen ausschloss oder wie 1998 den zweisprachigen Unterricht an Kaliforniens Schulen verbot. Nur noch eine böse Erinnerung ist die Zeit, da weiße Vorstädter bei San Diego an die mexikanische Grenze fuhren und in einer „Light up the Border“-Aktion ihre Scheinwerfer auf den Grenzstreifen richteten, durch den jährlich 300.000 Immigranten aus Mexiko kamen.

Amerika absorbiert zurzeit eine Rekordzahl von Einwanderern. Jährlich sind es 1,1 Millionen Menschen, fast eine halbe Million mehr als während der „Great Migration“, dem Höhepunkt der Einwanderung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gemessen an der Zahl der Gesamtbevölkerung aber hat die Einwanderung abgenommen und beträgt heute nur 0,4 Prozent der Bevölkerung gegenüber 0,7 zu der Zeit der „Great Migration“. Was sich gegenüber den ausländerfeindlichen Emotionen des vergangenen Jahrzehnts geändert hat, ist die Arbeitsmarktlage. Litt Kalifornien Anfang der 90er an einer Arbeitslosigkeit von fast 10 Prozent, so herrscht heute Arbeitskräftemangel.

Im letzten Jahr haben sowohl Alan Greenspan, Chef der amerikanischen Zentralbank, als auch die amerikanischen Gewerkschaften der Einwanderung das Wort geredet – die Gewerkschaften wollen sich jetzt um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Immigranten kümmern, statt wie bisher Einwanderung als eine Gefährdung des Lohnniveaus zu bekämpfen. Ungeteilt ist die Freude über die Immigration gleichwohl nicht. Einwanderungsspezialisten wie Philip Martin von der University of California weisen seit Jahren darauf hin, dass die Immigranten von heute nicht so schnell die soziale Leiter hinaufklettern wie ihre Vorgänger Anfang des vergangenen Jahrhunderts. George Borjas von der Harvard University rechnet vor, dass Einwanderung zur Vertiefung der Einkommensunterschiede und zur Entstehung einer permanenten Unterschicht geführt hat.

„Der Schmelztiegel Amerika ist einer Serie von lokalen Schmelztiegeln gewichen“, erklärt William Frey, Demograph von der University of Michigan. Es gibt die so genannten Gateways und jene Regionen, die weiß bleiben und an Bevölkerungsverlust leiden wie der Präriestaat Iowa. Die boomenden Gateways Amerikas, zu denen die Staaten Kalifornien, Texas, Florida, der Nordosten und der Nordwesten sowie die Region um Washington gehören, ziehen Industrien und Bevölkerung aller Art an. Kein Wunder, dass jeder Staat Gateway werden will.