Fußfeger, Abstauber und Bodenhebel

Die Berliner Judo-Kämpferin Uta Kühnen vertraut auf ihre Stärken und rechnet sich Medaillenchancen bei Olympia aus

BERLIN taz ■ Am meisten Spaß hat Uta Kühnen, wenn ihre Gegnerinnen auf die Matte knallen, als seien sie auf einer Bananenschale ausgerutscht. Da sich die Berlinerin aber keineswegs für ein „Bewegungstalent“ hält, konzentriert sich die Judokämpferin auf ihre Fußfege- und Bodentechniken sowie ihre „Abstauber“. Die gibt es, wenn die Gegnerin einen Angriff zu starten versucht.

Am 21. September will die 25-Jährige in Sydney in der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm eine Medaille abstauben. 9 weitere Anwärterinnen unter den 23 Starterinnen macht sie aus, die ihr im Weg stehen könnten. „Die Unterschiede sind graduell, weshalb die Tagesform entscheidet.“ Mit Freilos wären es 4, ohne 5 Siege zu Gold.

Woher rührt der Optimismus, die japanische Weltmeisterin Anno bezwingen zu können? Schließlich muss die Studentin feststellen, dass sie überhaupt „gerne einmal einen Kampf bei der WM gewinnen würde“. In Paris 1997 scheiterte Uta Kühnen nämlich ebenso wie in Birmingham 1999 gleich in Runde eins. Dieses Jahr stellte sie aber das 9. Semester in Lebensmitteltechnologie hintan und trumpfte bei den internationalen Turnieren in Moskau und München auf.

„Ich bin nicht der große Favorit“, räumt die Schwarzgurtträgerin ein, „aber von der Papierform her kann ich jede schlagen.“ Damen-Bundestrainer Norbert Littkopf pflichtet bei. „Ich habe keine Bank dabei, aber mit Glück und wenn es gerecht mit den Kampfrichtern zugeht, kann jede meiner fünf Athletinnen in die Medaillenplätze vorstoßen.“ Auf dem Niveau von Uta Kühnen sieht er nur vier, fünf Judoka. „Ich bin nicht das Riesenbewegungstalent“, kennt die 1,77 Meter große dreifache Deutsche Meisterin ihre Schwächen.

Weil der Bundestrainer harte Arbeiter mehr schätzt als faule Talente – nur 96er-Gold-Gewinner Udo Quellmalz verband in seinen Augen „Supertalent mit Superarbeiter“ –, vertraut er gern auf Uta Kühnen. „Sie ist wie ein Panzer!“ Will heißen: „Sie ist taktisch sehr gut zu führen, stark im Kopf und bringt genügend Intellekt mit, um taktische Vorgaben die kompletten vier Minuten konsequent umzusetzen.“

Eigenschaften, die der Leipziger schätzt. „Superarbeiter kommen im Judo weiter voran“, äußert der 56-Jährige, der sich vor kurzem über seine leichteste Starterin, Anna-Maria Gradante, echauffiert hatte. Die 48-Kilo-Judoka und angehende Diätassistentin hatte zum wiederholten Mal beim Wiegen passen müssen: 20 Gramm Übergewicht. Hingegen hält er Uta Kühnen und Anja Rekowski (bis 63 kg) für „tüchtige Mädels. Die sind fleißig und richtige Beißerinnen! Sind sie mit dem Training fertig, schlagen sie die Bücher auf.“

Uta Kühnen wechselte 1994 wegen der besseren Trainingsmöglichkeiten an die Werner-Seelenbinder-Schule nach Berlin – ein Internat, wo unter anderem Jan Ullrich und Franziska van Almsick ausgebildet wurden. Am Baden-Badener Gymnasium Hohenbaden hatte der damalige Schulleiter Ferdinand Gruner seinen Schützling mit den Worten gen Berlin verabschiedet: „Wir lassen die Deutsche Meisterin ungern ziehen. Aber wenn sie bei Olympia siegt, dann ist das in Ordnung!“ Am 21. September würde sich Uta Kühnen gerne noch einmal als Musterschülerin erweisen. HARTMUT METZ