Was wirklich zählt, ist die Hautfarbe

aus JohannesburgKORDULA DOERFLER

Die Kundin in einem Johannesburger Supermarkt nestelt nervös an ihrer Geldbörse herum. Sie hat es eilig, und das Einpacken der Waren durch eine Angestellte, in Südafrika eine selbstverständliche Dienstleistung, dauert ihr zu lange. Ungeduldig reißt sie der schwarzen Verkäuferin eine Plastiktüte aus der Hand. Das dünne Material reißt, Milch, Sahne und Kaffeepulver ergießen sich auf den Boden. „Du dummes Ding!“, zischt die weiße Kundin wütend. Während sich die Angestellte ein Dutzend Mal entschuldigt und die Bescherung stumm aufputzt, schimpft die Weiße weiter vor sich hin. Halblaut nur, vorsichtshalber, aber doch laut genug. „Was soll nur aus diesem Land werden! Kein Wunder, dass hier nichts mehr funktioniert.“

Andere Kundinnnen nicken beifällig. Ein angeregtes Gespräch über Südafrika, das den traurigen Gang des Rests des Kontinents geht, entfaltet sich. Jede Hausfrau hat eine kleine Anekdote aus dem eigenen reichen Erfahrungsschatz mit „ihnen“ beizutragen. Schließlich regieren „sie“ nun.

Alle Verachtung der Welt liegt in diesem kleinen Wort. „Sie“, die anderen. „Sie“, die dummerweise die Mehrheit haben. Dass der kleine Lapsus nicht Schuld der Verkäuferin war, kommt niemand in den Sinn. Die hält derweil den Kopf gesenkt und bleibt ebenso still wie der Rest des ausschließlich schwarzen Personals.

Die Apartheid-Doktrin lebt weiter

Zwar wird Südafrika heute von Schwarzen regiert. Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ist per Verfassung verboten. Im Alltag aber ist das schwere Erbe des Apartheid-Staates, der, weltweit einmalig, die angebliche rassische Überlegenheit einer Minderheit zur Staatsdoktrin erhob, allgegenwärtig. Bis heute wagen es Schwarze nur selten, sich gegen derartige Beschimpfungen zu Wehr zu setzen oder gar vor Gericht zu gehen.

Und es ist vor allem der Alltagsrassismus, der tief in den Köpfen und in den Herzen sitzt, der auch der liberalen britischen Mittelklasse in den großen Städten zur zweiten bequemen Haut geworden ist.

„Sie“ das gleiche Geschirr, die gleiche Toilette benutzen lassen? „Sie“, die Hausangestellten, Gärtner und Chauffeure, die die Kinder großziehen, den Haushalt führen und die parkähnlichen Gärten pflegen? Undenkbar, auch sechs Jahre nach dem Fall der weißen Minderheitsregierung.

Noch schlimmer sieht es auf dem Land aus. Weiße Farmer halten ihre Arbeiter oft in frühfeudalistischer Abhängigkeit, auch wenn das ebenfalls vom Gesetz verboten ist. Wer aufmuckt, fliegt hinaus. Draußen vor der Tür stehen schließlich täglich Hunderte von anderen Habenichtsen, die Arbeit suchen. Auch schwere Misshandlungen von Farmarbeitern, zu Apartheid-Zeiten ein Kavaliersdelikt, kommen bis heute vor. Unter sich, reden weiße Farmer noch immer gern von den „dreckigen Kaffern“, und sie verprügeln ihre Angestellten, wenn es „nötig“ ist. Ein weißer Farmer musste unlängst vor Gericht, weil er seine Arbeiter im Schweinestall hausen ließ, ein anderer muss sich dafür verantworten, einen Schwarzen mit Silberfarbe angemalt zu haben, weil er sich angeblich widerrechtlich auf seinem Land aufgehalten hatte.

Zwar hat die Regierung umfangreiche Glechstellungs- und Antidiskrimierungsgesetze erlassen; deren Umsetzung ist im Alltag aber schwierig. Nelson Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki, seit einem Jahr im Amt, hat das Thema deshalb ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. „Wir müssen anerkennen, dass es Rassismus gibt und dass er immer noch ein sehr ernstes Problem ist“, so Mbeki auf einer viertägigen nationalen Konferenz zum Thema Rassismus in Johannesburg, die am Samstag zu Ende ging.

Bist du schwarz, fehlt der Job

Trotz seiner fortschrittlichen Gesetzgebung ist die südafrikanische Gesellschaft bis heute von großen Ungleichheiten zwischen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und der weißen Minderheit geprägt, haben Schwarze und Weiße noch längst nicht die gleichen Chancen, wenn es um den Zugang zu Bildung oder ökonomisch einflussreichen Positionen geht: Mehr als drei Viertel aller Südafrikaner (76,6 Prozent) sind schwarzer Hautfarbe, fast die Hälfte von ihnen ist arbeitslos, drei Viertel aller schwarzen Haushalte leben unter dem Existenzminimum. Demgegenüber macht die weiße Minderheit 10,6 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, aber lediglich 4,6 Prozent von ihnen haben keine Arbeit. Ähnlich sieht die Einkommensverteilung aus: Zwei Drittel aller weißen Männer verdienen monatlich mehr als 3.500 Rand (rund 1.000 Mark), aber nur jeder zwanzigste Schwarze. Und während nur 3 Prozent der Schwarzen eine höhere Schulbildung haben, ist das bei den Weißen immerhin ein Viertel.

Um historische Ungerechtigkeiten auszugleichen, hat der ANC aus den USA das Konzept von Affirmative Action übernommen: In der Praxis müssen Betriebe und öffentliche Verwaltungen bisher benachteiligte Gruppen, also Nichtweiße und Frauen, bevorzugt einstellen und befördern. Weil es unter Schwarzen aufgrund der miserablen Schulbildung während der Apartheid-Zeit jedoch häufig noch an Qualifikationen hapert, führt das Verfahren dazu, dass oft schlecht qualifizierte Schwarze besser qualifizierten Weißen vorgezogen werden.

„Umgekehrten Rassismus“ werfen deshalb viele Weiße der Regierung vor. „Wer heute in Südafrika jung, weiß und männlich ist, hat keine Chance“, klagt Brian Roberts, ein junger Student der Betriebswirtschaft. Die ohnehin großen Ängste der Weißen, die sich aufgrund der grassierenden Gewaltkriminalität immer öfter hinter hohen Mauern verbarrikadieren, werden mit solchen Gesetzen noch weiter geschürt.

Dabei vergisst die größte weiße Minderheit auf dem afrikanischen Kontinent allerdings gern, dass sie seit dem Machtwechsel kaum Privilegien aufgeben musste.

Rassismus als Polit-Instrument

Wie Rassismus im Alltag ganz sicher nicht überwunden wird, machen auch Südafrikas Politiker täglich vor. Kaum eine Rede, egal von wem, kommt ohne Rassismusvorwürfe an den Gegner aus. Die Grenze zwischen den Parteien verläuft ohnehin nicht zwischen politischen Positionen, sondern entlang der Hautfarbe: Hier die überwiegend schwarze Regierungspartei ANC, dort die kleine, überwiegend weiße Opposition, neuerdings geeint zur „Demokratischen Allianz“.

Da etwa wirft deren Chef Tony Leon Präsident Mbeki vor, überall nach „afrikanischen Lösungen“ zu suchen – bis hin zur „Quacksalberei“. Da aber schreckt der Präsident auch nicht davor zurück, die bekannte Journalistin Charlene Smith „rassistischer Wut“ zu bezichtigen.

Ihr Vergehen: Sie hatte ein Tabu gebrochen und die Geschichte ihrer Vergewaltigung (durch einen Schwarzen) öffentlich gemacht – zugleich aber die Haltung der Regierung in der Aidspolitik scharf kritisiert und erklärt, Vergewaltigungen seien in Afrika weit verbreitet. So viel Kritik von Weißen aber erträgt der ANC nur schlecht, selbst wenn sie ihm nahe stehen. Wer sie dennoch wagt, gerät schnell selbst in Rassismusverdacht. Denn nach Ansicht vieler Schwarzer verstehen eben auch die „verdammten weißen Liberalen“ weder Afrika noch die afrikanische Kultur.