Ein Land im Ausnahmezustand

Zwei Studien analysieren die verheerenden Auswirkungen von Diktatur und Sanktionen auf die Menschen im Irak

Seit fast zehn Jahren leidet der Irak unter Saddam Hussein und den UNO-Sanktionen, die nach dem verlorenen Krieg um Kuwait beschlossen wurden. Vor allem die USA und Großbritannien verfolgen mit dieser Sanktionspolitik das Ziel, den Irak als potenzielle Atommacht und „Gefahr“ für den Nahen Osten auszuschalten. Als einen Nebeneffekt erhoffen sie sich den Sturz Saddams. Dieser ist jedoch bis heute ausgeblieben, während die Folgen für das Volk unübersehbar sind: Die Iraker hungern, haben zu wenig Medizin und keine Arbeit, ihre Kinder sterben viel öfter als früher schon kurz nach der Geburt. Der Irak wird von einem korrupten Regime beherrscht und fällt allmählich auf den Stand eines Dritte-Welt-Landes zurück. Wenn die westlichen Alliierten mit den Sanktionen und dem Bombardement Saddam und seine herrschende Elite treffen wollten, so wurde dieses Ziel grandios verfehlt. Das Baath-Regime sitzt fester im Sattel denn je. Nur: Die Sorge der USA in der nahöstlichen Region gilt eben nicht der Demokratie, sondern der Kontrolle über die wichtige Ressource Öl und den „Schurkenstaat“.

Die Autoren in Anthony Arnoves Buch „Iraq under Siege“ erheben schwere Vorwürfe gegen die Regierungen der USA und Großbritanniens. So ist für Howard Zinn von der Universität von Boston nicht Saddam bedrohlich, sondern „wir sind die Gefahr“. Und der bekannte Linguist und Philosoph Noam Chomsky kritisiert die zwielichtige moralische Haltung der USA bei ihrer Irakpolitik. Denn: Als Saddam 1988 mit Giftgas gegen die Kurden vorging oder chemische Waffen gegen den Iran einsetzte, vermied die US-Regierung jegliche Kritik. Erst die Kuwait-Invasion ließ Saddam vom „besten Freund“ zur „Bestie von Bagdad“ mutieren. Folgerichtig meinte US-Außenministerin Madeleine Albright 1996 im amerikanischen Fernsehen zum Tod von 500.000 Kindern im Irak: „Es ist ein schwere Entscheidung, aber wir glauben, dass sie den Preis wert ist.“ In der Regierungszeit Clintons wurde die Verachtung für das Völkerrecht offen zugegeben, bilanziert Noam Chomsky nüchtern.

Doch nicht nur die Regierung, auch die Medien haben die negativen Auswirkungen der Sanktionen verharmlost, wie Ali Abunimah, Medienanalytiker an der Universität von Chicago, und Rania Masri von der North Carolina State University analysieren. TV-Sender wie Zeitungen berücksichtigten weder in den USA noch in Großbritannien dahin gehende Berichte oder spielten diese als einseitig herunter. Als Beispiele werden Artikel aus Los Angeles Times, New York Times oder Washington Post zitiert, in denen Saddam eher mal als Hitler porträtiert wird, als dass man das Leid der Iraker beschreibt. Nur durch zahlreiche Aktionen von Irak-Komitees habe sich die Berichterstattung verbessert.

Die zahlreichen Beiträge in Arnoves Band, die das Leben der Menschen unter dem Sanktionsregime beschreiben, sind mit großem Engagement verfasst. Einige von ihnen sind zwar holzschnittartig geraten, dokumentieren jedoch die katastrophale Sanktionspolitik. Sie führen dem Leser die Umrisse der neuen Weltordnung „made in USA“ vor Augen. Jeder, der sich ein Bild über eine Politik machen will, die zur Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Volkes führt, sollte zu diesem Buch greifen. Eine bemerkenswerte Dokumentation der irakischen Tragödie.

Die neuesten Zahlen und Fakten dieser Tragödie ergänzt der von Richard Garfield (Columbia-Universität New York) herausgegebene eindrucksvolle Band „Campaign against Sanctions on Iraq“. Er zeigt anhand zahlreicher Schaubilder, wie sich die Kindersterblichkeit seit 1990 dramatisch erhöht, die Ernährungslage erheblich verschlechtert und die allgemeine Gesundheitsvorsorge abgenommen hat. Zudem wird die Geschichte des Irak vor und nach dem Golfkrieg ebenso dargestellt wie Gesellschaft und Kultur des Landes, die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und das internationale Umfeld.

Besonders interessant ist die Untersuchung von Chris Doyle (Verein für die Förderung der arabisch-britischen Beziehungen) über die mentalen Auswirkungen der Sanktionspolitik auf die Menschen in arabischen Staaten. In diesen Ländern gebe es ein große Sympathie für den Irak. Die Araber vermuteten zu Recht hinter der Sanktionspolitik gegen den Irak den Willen der USA, Israel einen Gefallen zu tun: Der Irak solle als Akteur im Nahen Osten ausgeschaltet werden. Dies entspräche zwar arabischem Verschwörungsdenken, sei aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Schließlich betrieben die USA in der Region eine Politik des „doppelten Standards“, indem sie die arabischen Staaten für Verhaltensweisen kritisierten, die bei Israel akzeptiert würden. Die Sanktionspolitik sei gescheitert und habe dem Irak nur Zerstörung gebracht. „Die arabischen Staaten sind nicht länger bereit, diese zu übersehen.“

Der von Richard Garfield herausgegebene Band ist faktenreich und ausgezeichnet dokumentiert. Er ist ein eindrucksvolles Dokument einer menschlichen Tragödie im postmodernen Zeitalter. LUDWIG WATZAL

Anthony Arnove (Hg.): „Iraq underSiege. The deadly impact of sanctionsand war“. Pluto Press, London 2000,216 Seiten, 10,99 £Campaign Against Sanctions on Iraq (Hg.): „Sanctions on Iraq. Background, consequences, strategies“. Barque Press, Cambridge 2000, 230 S., 8 £(zu beziehen von Mark Al-Sinjaki: scouseanthmark@yahoo.co.uk)